
Benutzer42813 (42)
Beiträge füllen Bücher
- #1
Mein Problem klingt jetzt vielleicht total dämlich...
Aber es belastet mich. Manch einer hier weiß ja, dass ich Lehrerin bin. Genauer gesagt Sonderpädagogin.
Das bedeutet, dass ich im Rahmen "inklusiver Schule" jetzt mit einem Teil meiner Stunden an einer Gesamtschule in einer neuen sogennnten "I-Klasse" bin, also eine 5. Klasse, in der "normale" SChüler und solche mit Lernbehinderungen, aber auch "Verhaltensauffälligkeiten" beschult werden. "Verhaltensauffälligkeiten" heißt, wenn ich jetzt mal nicht pädagogisch spreche, dass die entsprechenden Kiddies lügen, schlagen, treten, bedrohen, oft eigentlich wollen, dass man sie lieb hat, aber wegen schlimmem ADHS es oft nicht schaffen, in der Klasse konzentriert zu arbeiten, wenn es so laut ist.
Das erste Problem bei dieser I-Klasse ist, dass sie zu groß ist. Die gemeinsame Beschulung von Kindern mit und ohne Behinderungen ist eine große Sache, die ich mir von Anfang an in meiner Berufslaufbahn auf meine Fahne geschrieben hatte - um genau zu sein, hatte ich deswegen überhaupt erst mit diesem Beruf angefangen. Man kann aber nicht vier tickende Zeitbomben, vier weitere Kids mit Lernschwäche, von denen einer auch schon zu prügeln anfängt, weil er im Unterricht nichts kapiert, in einen Raum mit 18 weiteren Kindern "sperren", wenn von diesen 18 mindestens zwei weitere einen psychischen Knacks haben und auch gerne ausrasten und zwei weitere einfach allgemein gerne Lehrer ärgern und auch der Rest eben bis auf zwei, drei extrem stille Kids aus ganz normalen, lebendigen und kommunikativen Kindern mit einem gesunden und normalen Bewegungsdrang bestehen.
Das gibt nämlich Sprengstoff.
Ursprünglich war es so gedacht, dass I-Klassen nur 18 Schüler insgesamt haben, damit es eben möglich ist, sich um alle Kinder eben besser und umfassender zu kümmern. In den meisten Stunden soll ein Fachlehrer und ein Sonderpädagoge (=ich) gemeinsam unterrichten und halt schauen, wie man den Kids am besten Wissen vermittelt, auf einem Level, das sie aufnehmen können. Binnendifferenzierung - und auch die Starken sollen eben mal einzeln gefördert werden können.
Bei 26 Kindern in der Klasse ist das fast bis gar nicht möglich. Es ist NUR laut.
***
Das zweite Problem ist, dass ich es seltsamerweise schaffe, die Klasse leise zu kriegen, wenn ich mal ein Fach unterrichte. Mucksmäuschenstill, damit es eben leise genug ist, dass auch die ADHS-Kinder arbeiten können. Bei einem normalen GEsprächspegel schaffen die es nämlich nicht, gleichzeitig in ihr Heft zu schauen. Es muss also für die entweder Redephase sein oder eben Stillephase - und der Lehrer vorne muss das ruhig und strukturiert vermitteln. Ich mache das immer so, und sie sind dankbar und werden leise, weil der permanente Krach sie selbst ja auch stört.
Dummerweise bin ich die einzige, die die Phasen für die Kinder so klar gliedern. Ich bin ja auch die einzige in der Klasse mit einer sonderpädagogischen Ausbildung, die eben überhaupt mal was davon gelernt hat, wie man auf die besonderen Anforderungen von ADHS-Kindern eingeht. Die Kollegen von der Gesamtschule haben von ihren Unterrichtsfächern viel mehr Ahnung als ich, weil das eben der Hauptbestandteil in ihrem Studium war. Und sie sind die Arbeit mit Klassen gewohnt, die eben in der Lage sind, mal fünf oder zehn Minuten zuzuhören und dann zu schreiben und während des SChreibens damit zu leben, dass der Lehrer herumgeht und es einzelnen Schülern noch einmal erklärt.
Selbst dieses Herumgehen und Erklären ist für die ADHS-Kiddies und die meisten anderen im Moment noch zu viel. Selbst das lenkt sie wieder ab, und wenn sie nicht mehr auf ihre Blätter schauen, dann sehen sie tausend andere Dinge, fangen an zu reden, dann langweilen sie sich und provozieren die Nachbarn...
***
Als Ergebnis wird meine arme Klasse jeden Tag mindestens sechs Mal angeschrien - jedes Mal, wenn ein Lehrer aus einer anderen Klasse in unsere Klasse kommt und es wieder so laut ist und sie nicht ruhig werden. Die "lieben" gucken dann immer schon ganz eingeschüchtert, die "lauten" genervt oder gelangweilt. Sechs Mal am Tag an drei Tagen durfte ich letzte Woche in voller Lautstärke hören, wie schlimm sie seien, dass der Kollege das in seiner Laufbahn ja noch nie erlebt hätte, wie sie auf diese Weise je einen Realschulabschluss schaffen wollten...
Und so lernen sie doch auch keinen Unterrichtsstoff! Ich bin immer ganz verzweifelt, dass die alle so viel angeschrien werden. Die Kollegen sagen dann immer, sie müssen so viel Unterrichtsstoff machen, sie können nicht zu Beginn des Schuljahres ein oder zwei Stunden mit Sozial- und Stille-Übungen verbringen und dann jede Stunde mit einem Stilleritual beginnen - so was würde eh nie klappen, das hätten sie schon mal ausprobiert...
Also schaue ich auf die Uhr und sehe, wie von jeder Unterrichtsstunde am Anfang zehn Minuten und mittendrin noch mal fünf Minuten abgehen, weil die Klasse so viel ausgeschimpft wird. Bleiben nur noch 30 Minuten für Unterricht. Und das in einer angespannten Atmosphäre...
Ob die Kiddies dann unbedingt so viel mehr lernen?
***
Das wirklich schlimme für mich ist, dass sie in der einen Stunde Sozialtraining bei mir jede Woche und auch in den Vertretungsstunden, die ich bisher gehalten habe, super diszipliniert und still sind... Und in den Mathe-Stunden, in denen ich bisher vertreten habe, waren sie genauso leise. Sie können es also. Einfach nur, weil ich eben auch still bin und lächele und mir drei Minuten Entspannung in aufrechter Haltung vor der Klasse gönne, während sie langsam endlich leise werden. Drei Minuten stillstehen kommen einem dann zwar immer viel länger vor als zehn Minuten rumschreien, wenn man derjenige ist, der vorne steht...
Und dann gehe ich jeden Tag nach Hause und bin traurig und mein Herz tut weh, weil meine Kids an dem Tag hochgerechnet von den fünf Zeitstunden Unterricht, die sie hatten, mindestens eine Zeitstunde lang von ihren Lehrern angebrüllt wurden. Es tut mir immer so leid für sie, sie sind zwar anstrengend, aber alle so furchtbar liebenswert.
***
Ach ja, "mit den Kollegen reden" lässt sich auch nur bedingt umsetzen... Ich bin neu an der Schule, ich bin im Schnitt 20 Jahre jünger als sie, und viele in der Klasse wollten eigentlich niemals in einer I-Klasse unterrichten, weil das eben so anstrengend sei. Ich bzw. die ganzen "nicht der Norm entsprechenden" Schüler werden da eher als Eindringlinge in die auch ohne uns schon kompliziert und nervenaufreibende Schulumwelt wahrgenommen.
Aber es belastet mich. Manch einer hier weiß ja, dass ich Lehrerin bin. Genauer gesagt Sonderpädagogin.
Das bedeutet, dass ich im Rahmen "inklusiver Schule" jetzt mit einem Teil meiner Stunden an einer Gesamtschule in einer neuen sogennnten "I-Klasse" bin, also eine 5. Klasse, in der "normale" SChüler und solche mit Lernbehinderungen, aber auch "Verhaltensauffälligkeiten" beschult werden. "Verhaltensauffälligkeiten" heißt, wenn ich jetzt mal nicht pädagogisch spreche, dass die entsprechenden Kiddies lügen, schlagen, treten, bedrohen, oft eigentlich wollen, dass man sie lieb hat, aber wegen schlimmem ADHS es oft nicht schaffen, in der Klasse konzentriert zu arbeiten, wenn es so laut ist.
Das erste Problem bei dieser I-Klasse ist, dass sie zu groß ist. Die gemeinsame Beschulung von Kindern mit und ohne Behinderungen ist eine große Sache, die ich mir von Anfang an in meiner Berufslaufbahn auf meine Fahne geschrieben hatte - um genau zu sein, hatte ich deswegen überhaupt erst mit diesem Beruf angefangen. Man kann aber nicht vier tickende Zeitbomben, vier weitere Kids mit Lernschwäche, von denen einer auch schon zu prügeln anfängt, weil er im Unterricht nichts kapiert, in einen Raum mit 18 weiteren Kindern "sperren", wenn von diesen 18 mindestens zwei weitere einen psychischen Knacks haben und auch gerne ausrasten und zwei weitere einfach allgemein gerne Lehrer ärgern und auch der Rest eben bis auf zwei, drei extrem stille Kids aus ganz normalen, lebendigen und kommunikativen Kindern mit einem gesunden und normalen Bewegungsdrang bestehen.
Das gibt nämlich Sprengstoff.
Ursprünglich war es so gedacht, dass I-Klassen nur 18 Schüler insgesamt haben, damit es eben möglich ist, sich um alle Kinder eben besser und umfassender zu kümmern. In den meisten Stunden soll ein Fachlehrer und ein Sonderpädagoge (=ich) gemeinsam unterrichten und halt schauen, wie man den Kids am besten Wissen vermittelt, auf einem Level, das sie aufnehmen können. Binnendifferenzierung - und auch die Starken sollen eben mal einzeln gefördert werden können.
Bei 26 Kindern in der Klasse ist das fast bis gar nicht möglich. Es ist NUR laut.
***
Das zweite Problem ist, dass ich es seltsamerweise schaffe, die Klasse leise zu kriegen, wenn ich mal ein Fach unterrichte. Mucksmäuschenstill, damit es eben leise genug ist, dass auch die ADHS-Kinder arbeiten können. Bei einem normalen GEsprächspegel schaffen die es nämlich nicht, gleichzeitig in ihr Heft zu schauen. Es muss also für die entweder Redephase sein oder eben Stillephase - und der Lehrer vorne muss das ruhig und strukturiert vermitteln. Ich mache das immer so, und sie sind dankbar und werden leise, weil der permanente Krach sie selbst ja auch stört.
Dummerweise bin ich die einzige, die die Phasen für die Kinder so klar gliedern. Ich bin ja auch die einzige in der Klasse mit einer sonderpädagogischen Ausbildung, die eben überhaupt mal was davon gelernt hat, wie man auf die besonderen Anforderungen von ADHS-Kindern eingeht. Die Kollegen von der Gesamtschule haben von ihren Unterrichtsfächern viel mehr Ahnung als ich, weil das eben der Hauptbestandteil in ihrem Studium war. Und sie sind die Arbeit mit Klassen gewohnt, die eben in der Lage sind, mal fünf oder zehn Minuten zuzuhören und dann zu schreiben und während des SChreibens damit zu leben, dass der Lehrer herumgeht und es einzelnen Schülern noch einmal erklärt.
Selbst dieses Herumgehen und Erklären ist für die ADHS-Kiddies und die meisten anderen im Moment noch zu viel. Selbst das lenkt sie wieder ab, und wenn sie nicht mehr auf ihre Blätter schauen, dann sehen sie tausend andere Dinge, fangen an zu reden, dann langweilen sie sich und provozieren die Nachbarn...
***
Als Ergebnis wird meine arme Klasse jeden Tag mindestens sechs Mal angeschrien - jedes Mal, wenn ein Lehrer aus einer anderen Klasse in unsere Klasse kommt und es wieder so laut ist und sie nicht ruhig werden. Die "lieben" gucken dann immer schon ganz eingeschüchtert, die "lauten" genervt oder gelangweilt. Sechs Mal am Tag an drei Tagen durfte ich letzte Woche in voller Lautstärke hören, wie schlimm sie seien, dass der Kollege das in seiner Laufbahn ja noch nie erlebt hätte, wie sie auf diese Weise je einen Realschulabschluss schaffen wollten...
Und so lernen sie doch auch keinen Unterrichtsstoff! Ich bin immer ganz verzweifelt, dass die alle so viel angeschrien werden. Die Kollegen sagen dann immer, sie müssen so viel Unterrichtsstoff machen, sie können nicht zu Beginn des Schuljahres ein oder zwei Stunden mit Sozial- und Stille-Übungen verbringen und dann jede Stunde mit einem Stilleritual beginnen - so was würde eh nie klappen, das hätten sie schon mal ausprobiert...
Also schaue ich auf die Uhr und sehe, wie von jeder Unterrichtsstunde am Anfang zehn Minuten und mittendrin noch mal fünf Minuten abgehen, weil die Klasse so viel ausgeschimpft wird. Bleiben nur noch 30 Minuten für Unterricht. Und das in einer angespannten Atmosphäre...
Ob die Kiddies dann unbedingt so viel mehr lernen?
***
Das wirklich schlimme für mich ist, dass sie in der einen Stunde Sozialtraining bei mir jede Woche und auch in den Vertretungsstunden, die ich bisher gehalten habe, super diszipliniert und still sind... Und in den Mathe-Stunden, in denen ich bisher vertreten habe, waren sie genauso leise. Sie können es also. Einfach nur, weil ich eben auch still bin und lächele und mir drei Minuten Entspannung in aufrechter Haltung vor der Klasse gönne, während sie langsam endlich leise werden. Drei Minuten stillstehen kommen einem dann zwar immer viel länger vor als zehn Minuten rumschreien, wenn man derjenige ist, der vorne steht...
Und dann gehe ich jeden Tag nach Hause und bin traurig und mein Herz tut weh, weil meine Kids an dem Tag hochgerechnet von den fünf Zeitstunden Unterricht, die sie hatten, mindestens eine Zeitstunde lang von ihren Lehrern angebrüllt wurden. Es tut mir immer so leid für sie, sie sind zwar anstrengend, aber alle so furchtbar liebenswert.
***
Ach ja, "mit den Kollegen reden" lässt sich auch nur bedingt umsetzen... Ich bin neu an der Schule, ich bin im Schnitt 20 Jahre jünger als sie, und viele in der Klasse wollten eigentlich niemals in einer I-Klasse unterrichten, weil das eben so anstrengend sei. Ich bzw. die ganzen "nicht der Norm entsprechenden" Schüler werden da eher als Eindringlinge in die auch ohne uns schon kompliziert und nervenaufreibende Schulumwelt wahrgenommen.