
Benutzer65700
Verbringt hier viel Zeit
- #1
Hallo liebes Forum,
Mein heutiger Abend war eher scheiße und möchts mir gerne von der Seele schreiben. Der Abend ist aber auch Anlass zu grundlegenden Überlegungen im Umgang innerhalb von Beziehungen. Dazu habe ich auch einige Fragen an euch. Es würde mich freuen, wenn meine Story von heute Anlass für eine gewinnbringende Diskussion ist...mir hilft es, mit dem Abend heute besser klarzukommen und wenn wir alle noch was lernen können, hatte es ja auch etwas Gutes.

Ich bin nun 30 und beende gerade mein Studium. Da nur mehr die Abschlussarbeit zu schreiben ist, bin ich wieder nach Hause gezogen - und bekomme heute einen richtig dicken Streit meiner Eltern mit.
Die Corona-Zeit hat der Ehe insgesamt gut getan, sie haben fast täglich zu Hause stundenlang bei ein paar Gläschen Ramazotti miteinander geredet. Heute hatten sie auch einen schönen Tag, waren wandern und haben sich am Abend auch gemütlich wieder unterhalten. Tja, vermutlich wars nun auch diese Nähe, die die alten Wunden wieder aufgerissen hat, mit entsprechend durch Alkohol gelockerten Zungen.
Zum Bild der Familie: Mein Vater ist 63, meine Mutter 59 und sie sind knapp 40 Jahre nun verheiratet. Die Ehe ist folgte der ganz klassischen Rollenaufteilung: Mein Vater der Ernährer, die Mutter schmiss Haushalt und Kindererziehung. Sie hatte erst ca. 12 Jahre, nachdem ich auf der Welt war (bin der jüngere Bruder) wieder als Krankenschwester angefangen zu arbeiten.
Worin liegt nun er Streit? Offenbar hat meine Mutter meinen Vater vor 30 Jahren betrogen, weil er sie so überhaupt garnicht beachtet hatte. Für meine Mutter (zumindest hat auch sie das im Streit meinem Vater gesagt) war der Betrug dann vor allem eines: Ein letzter Hilferuf, dass er sie endlich einmal beachten möge.
Mein Vater wiederum hat in der Folgezeit meine Mutter betrogen.
Sie wirft ihm seit Stunden vor, wie er all die Jahre mit ihr umgesprungen ist. Dass er sie viel zu wenig beachtet hat, alles andere wichtiger war, als sie. Der Streit geht nun seit Stunden, sie schmeißen sich alles an Vorwürfen um die Ohren. Vieles hatte ich in dieser Dimension nicht am Schirm, die meisten Vorwürfe meiner Mutter ergeben absolut Sinn....und ich könnte gerade losheulen bei dem Gedanken, wie sehr sie durch Nicht-Beachtung kleingemacht wurde und wie sehr sie das verletzt hat
Das reißt mein Herz gerade wirklich auf
Gleichzeitig - und diese Erkenntnis hat bei mir lange auf sich warten lassen - hat sie aber auch all die Jahre genau dieses Spiel mitgespielt. Sie hätte eine Unzahl an Möglichkeiten gehabt, an der Situation zu arbeiten - stattdessen hat sie es aber passiv erduldet und immer gehofft, er möge sich doch auf wundersame Weise endlich ändern.
Was heißt das alles nun?
Erstens: Das ganze letzte Jahr war von immer neuen Stories geprägt, die sich um Betrug in Beziehungen drehten. Bei nahezu allen Geschichten gings darum, dass sich eine Person vernachlässigt gefühlt hat. Man selbst ist ja immer um ein positives Selbstbild bemüht und denkt sich: Nein, mir passiert sowas nicht, ich werde meine Partnerin ja lieben. Es passiert aber offenbar doch schneller und häufiger, als man meinen würde. Das heißt also für mich: Dazu soll es nicht kommen und ich werde mir in der Beziehung mit meiner Partnerin konkret überlegen müssen, wie wir das hinbekommen. Ein einfaches "mir passiert das nicht" reicht ja nicht, weil zu abstrakt.
Fragen an euch: Wie bekommt ihr das in eurer Beziehung so hin? Hattet ihr solche Erfahrungen schon gemacht? Habt ihrs wieder hinbekommen? Früh genug? Oder gabs erst ein Beziehungsende und ihr macht es nun besser?
Zweitens: Meine Mutter hat all die Jahre auch deshalb die Dynamik nie durchbrochen, weil sie so sehr die Anerkennung meines Vaters gesucht hat. Mir ist heute wieder einmal bewusst geworden, wie sehr wir Menschen darunter leiden, wenn wir nicht in der Lage sind, Grenzen zu ziehen. Nicht nur fremden gegenüber, sondern auch Menschen, die wir lieben, haben ihre negativen Seiten. Da dürfen wir nicht allzuviel runterschlucken mit "so ist er/sie halt", sondern müssen klar für uns eintreten. Ansonsten fressen wir und fressen und irgendwann kommt dann alles daher. Die Verletzungen, die Ungerechtigkeiten, alles, was man ertragen musste.
Doch nicht nur bei einem selbst: Auch meinen Kindern möchte ich das mitgeben, dass sie in der Lage sind, solche Dynamiken zu erkennen und für sich einzutreten. Das fängt dann schon bei Kleinigkeiten an. Die sind nur auf den ersten Blick nicht ganz so tragisch, denn sie geben ja die Marschrichtung vor.
Fragen an euch: Was habt denn ihr so alles an Ungerechtigkeiten von euren Partnern zugelassen? Was würdet ihr euch eigentlich wünschen? Warum erwartet ihr aber, dass euer Partner das von alleine machen wird? Hattet ihr irgendwann genug und habt ihr etwas geändert? Wie ist es euch gelungen?
Drittens:
Mir wurde auch wieder einmal bewusst, wie sehr wir Menschen nach Anerkennung und netten Worten suchen....und wie gut es tut, diese zu hören. Wir rackern uns tagtäglich ab und versuchen das Beste aus dem zu machen, was wir können und wie wir sind. Wie gut tut es da, einmal zu hören: Wow, stark, wie du das alles hinbekommst.....oder ein: Find ich cool, wie du das machst....oder: Danke, dass du das für uns gemacht hast.
Ich bin in verschiedenen Vereinen dabei und wenns mir auffällt, geh ich aktiv und ohne Anlass gerne einmal zu einzelnen Vorstandsmitgliedern und bedanke mich für die massive Arbeit. Die Reaktion? Großartig. Jedes mal aufs neue ist es Freude in den Gesichtern, zu hören, dass die Arbeit gut ist und wahrgenommen wird. Ich bin überzeugt, dass da noch weit mehr geht. Spread the Wertschätzung and the netten Worte
Viertens: Es lief sicher nicht alles rund im Leben meiner Eltern. Vergleiche ich sie aber mit Freuden und Bekannten - ich finde, sie haben ihr Leben wirklich gut auf die Reihe bekommen. Auch wenn die beiden ein Schatten von früher immer begleitet hat, ihre Ehe war insgesamt doch (spannenderweise) recht harmonisch, mit vielen, sehr schönen Momenten. In der Rückschau auf das eigene Leben und auf fast 40 Ehejahre.....da ist es normal, dass man viele gerne anders gemacht hätte. Dass es als "nicht genug" erscheint. Ich möchte nicht, dass solche Gedanken einen zu großen Platz einnehmen und dazu kann ich auch etwas beitragen: Je nachdem, was die beiden morgen für einen Eindruck machen, möchte ich versuchen, ihnen genau das zu sagen und für alles zu danken, was sie für mich und meine Brüder getan haben.
Und dass ich sie unterm Strich sehr bewundere, wie gut sie ihr Leben gemeistert haben.
Sie sind - trotz aller Schwächen - Vorbilder für mich und ich hoffe, ich bekomm das nur ansatzweise so gut hin, wie sie


Mein heutiger Abend war eher scheiße und möchts mir gerne von der Seele schreiben. Der Abend ist aber auch Anlass zu grundlegenden Überlegungen im Umgang innerhalb von Beziehungen. Dazu habe ich auch einige Fragen an euch. Es würde mich freuen, wenn meine Story von heute Anlass für eine gewinnbringende Diskussion ist...mir hilft es, mit dem Abend heute besser klarzukommen und wenn wir alle noch was lernen können, hatte es ja auch etwas Gutes.
Ich bin nun 30 und beende gerade mein Studium. Da nur mehr die Abschlussarbeit zu schreiben ist, bin ich wieder nach Hause gezogen - und bekomme heute einen richtig dicken Streit meiner Eltern mit.
Die Corona-Zeit hat der Ehe insgesamt gut getan, sie haben fast täglich zu Hause stundenlang bei ein paar Gläschen Ramazotti miteinander geredet. Heute hatten sie auch einen schönen Tag, waren wandern und haben sich am Abend auch gemütlich wieder unterhalten. Tja, vermutlich wars nun auch diese Nähe, die die alten Wunden wieder aufgerissen hat, mit entsprechend durch Alkohol gelockerten Zungen.
Zum Bild der Familie: Mein Vater ist 63, meine Mutter 59 und sie sind knapp 40 Jahre nun verheiratet. Die Ehe ist folgte der ganz klassischen Rollenaufteilung: Mein Vater der Ernährer, die Mutter schmiss Haushalt und Kindererziehung. Sie hatte erst ca. 12 Jahre, nachdem ich auf der Welt war (bin der jüngere Bruder) wieder als Krankenschwester angefangen zu arbeiten.
Worin liegt nun er Streit? Offenbar hat meine Mutter meinen Vater vor 30 Jahren betrogen, weil er sie so überhaupt garnicht beachtet hatte. Für meine Mutter (zumindest hat auch sie das im Streit meinem Vater gesagt) war der Betrug dann vor allem eines: Ein letzter Hilferuf, dass er sie endlich einmal beachten möge.
Mein Vater wiederum hat in der Folgezeit meine Mutter betrogen.
Sie wirft ihm seit Stunden vor, wie er all die Jahre mit ihr umgesprungen ist. Dass er sie viel zu wenig beachtet hat, alles andere wichtiger war, als sie. Der Streit geht nun seit Stunden, sie schmeißen sich alles an Vorwürfen um die Ohren. Vieles hatte ich in dieser Dimension nicht am Schirm, die meisten Vorwürfe meiner Mutter ergeben absolut Sinn....und ich könnte gerade losheulen bei dem Gedanken, wie sehr sie durch Nicht-Beachtung kleingemacht wurde und wie sehr sie das verletzt hat
Gleichzeitig - und diese Erkenntnis hat bei mir lange auf sich warten lassen - hat sie aber auch all die Jahre genau dieses Spiel mitgespielt. Sie hätte eine Unzahl an Möglichkeiten gehabt, an der Situation zu arbeiten - stattdessen hat sie es aber passiv erduldet und immer gehofft, er möge sich doch auf wundersame Weise endlich ändern.
Was heißt das alles nun?
Erstens: Das ganze letzte Jahr war von immer neuen Stories geprägt, die sich um Betrug in Beziehungen drehten. Bei nahezu allen Geschichten gings darum, dass sich eine Person vernachlässigt gefühlt hat. Man selbst ist ja immer um ein positives Selbstbild bemüht und denkt sich: Nein, mir passiert sowas nicht, ich werde meine Partnerin ja lieben. Es passiert aber offenbar doch schneller und häufiger, als man meinen würde. Das heißt also für mich: Dazu soll es nicht kommen und ich werde mir in der Beziehung mit meiner Partnerin konkret überlegen müssen, wie wir das hinbekommen. Ein einfaches "mir passiert das nicht" reicht ja nicht, weil zu abstrakt.
Fragen an euch: Wie bekommt ihr das in eurer Beziehung so hin? Hattet ihr solche Erfahrungen schon gemacht? Habt ihrs wieder hinbekommen? Früh genug? Oder gabs erst ein Beziehungsende und ihr macht es nun besser?
Zweitens: Meine Mutter hat all die Jahre auch deshalb die Dynamik nie durchbrochen, weil sie so sehr die Anerkennung meines Vaters gesucht hat. Mir ist heute wieder einmal bewusst geworden, wie sehr wir Menschen darunter leiden, wenn wir nicht in der Lage sind, Grenzen zu ziehen. Nicht nur fremden gegenüber, sondern auch Menschen, die wir lieben, haben ihre negativen Seiten. Da dürfen wir nicht allzuviel runterschlucken mit "so ist er/sie halt", sondern müssen klar für uns eintreten. Ansonsten fressen wir und fressen und irgendwann kommt dann alles daher. Die Verletzungen, die Ungerechtigkeiten, alles, was man ertragen musste.
Doch nicht nur bei einem selbst: Auch meinen Kindern möchte ich das mitgeben, dass sie in der Lage sind, solche Dynamiken zu erkennen und für sich einzutreten. Das fängt dann schon bei Kleinigkeiten an. Die sind nur auf den ersten Blick nicht ganz so tragisch, denn sie geben ja die Marschrichtung vor.
Fragen an euch: Was habt denn ihr so alles an Ungerechtigkeiten von euren Partnern zugelassen? Was würdet ihr euch eigentlich wünschen? Warum erwartet ihr aber, dass euer Partner das von alleine machen wird? Hattet ihr irgendwann genug und habt ihr etwas geändert? Wie ist es euch gelungen?
Drittens:
Mir wurde auch wieder einmal bewusst, wie sehr wir Menschen nach Anerkennung und netten Worten suchen....und wie gut es tut, diese zu hören. Wir rackern uns tagtäglich ab und versuchen das Beste aus dem zu machen, was wir können und wie wir sind. Wie gut tut es da, einmal zu hören: Wow, stark, wie du das alles hinbekommst.....oder ein: Find ich cool, wie du das machst....oder: Danke, dass du das für uns gemacht hast.
Ich bin in verschiedenen Vereinen dabei und wenns mir auffällt, geh ich aktiv und ohne Anlass gerne einmal zu einzelnen Vorstandsmitgliedern und bedanke mich für die massive Arbeit. Die Reaktion? Großartig. Jedes mal aufs neue ist es Freude in den Gesichtern, zu hören, dass die Arbeit gut ist und wahrgenommen wird. Ich bin überzeugt, dass da noch weit mehr geht. Spread the Wertschätzung and the netten Worte
Viertens: Es lief sicher nicht alles rund im Leben meiner Eltern. Vergleiche ich sie aber mit Freuden und Bekannten - ich finde, sie haben ihr Leben wirklich gut auf die Reihe bekommen. Auch wenn die beiden ein Schatten von früher immer begleitet hat, ihre Ehe war insgesamt doch (spannenderweise) recht harmonisch, mit vielen, sehr schönen Momenten. In der Rückschau auf das eigene Leben und auf fast 40 Ehejahre.....da ist es normal, dass man viele gerne anders gemacht hätte. Dass es als "nicht genug" erscheint. Ich möchte nicht, dass solche Gedanken einen zu großen Platz einnehmen und dazu kann ich auch etwas beitragen: Je nachdem, was die beiden morgen für einen Eindruck machen, möchte ich versuchen, ihnen genau das zu sagen und für alles zu danken, was sie für mich und meine Brüder getan haben.




