
Benutzer37188
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Die meisten Schwangerschaften beginnen mit einem positiven Test, einem breiten Lächeln, vielleicht mit Freudentränen. Andere beginnen mit Angst oder Verzweiflung. Meine beginnt irgendwo dazwischen und das klingt viel, viel dramatischer als es vermutlich eigentlich ist. Da ich mit dem Tagebuch ein wenig spät einsteige, hole ich sozusagen frühere Einträge nach und hoffe, ich erwische die wichtigen Dinge, die mir zu der Zeit durch den Kopf gingen. Meine größte Hoffnung ist, dass sich die anfänglichen negativen Gedanken und Erfahrungen mit der Zeit relativieren. Dass ich mich beobachten kann, wie ich mich darauf einlasse und freue. Aber noch ist es nicht so weit.
Seit gut einem Jahr verhüten mein Mann und ich nicht mehr mit dem Hintergrund "Wenn wir Nachwuchs bekommen sollten, dann freuen wir uns. Sollten wir keinen bekommen, dann fallen uns viele andere wundervolle Dinge mit unserem gemeinsamen Leben ein."
Obwohl wir die Sache dermaßen entspannt angingen, wurde ich plötzlich vor jeder Periode unfassbar unruhig und stand gedanklich exakt am Scheideweg zwischen "Bitte blute!" und "Bitte blute nicht!". Jedes Mal war ich erleichtert, aber zu gleichen Teilen traurig, wenn die ersten Tropfen fielen.
6. Juli 2018 - Zwei Streifen
Die Periode ist spät. Seit zwei Tagen drücke ich mich um einen Test. So viele habe ich schon viel zu hektisch viel zu früh gemacht, also wollte ich mich zurückhalten. Und das Ergebnis irgendwie auch nicht wissen, wenn ich ehrlich bin.
Es ist Freitag, wir haben zwei Wochen frei und wollen heute zum Besuch seiner Mutter starten. Wir haben ein paar Tage Paris zusammen mit ihr geplant.
Unruhig trete ich von einem Bein auf das andere, bis ich es mir nicht mehr verkneifen kann und schließlich fange ich meinen Morgenurin in einem Glas auf. Leise reiße ich die Packung vom Test auf; mein Mann schläft noch und ich will ihn nicht wecken, weil ich weiß, er wird sich meine Reaktion merken und ich bin noch nicht sicher, wie sie ausfallen wird.
Zwei Streifen. Völlig unzweifelhaft und klar tauchen sie in dem kleinen Fensterchen auf und bestätigen meinen Verdacht. Ich weiß nicht, was ich fühle, ich spüre nur mein Herz hämmern und das Blut in meinen Ohren rauschen.
Ich gehe zurück zu meinem Mann ins Bett und wecke ihn vorsichtig. "Positiv", krächze ich. Er lächelt schlaftrunken und nimmt mich fest in den Arm.
Auf der Arbeit lasse ich mir nichts anmerken. Lediglich einer Freundin habe ich es erzählt.
Am Abend erreichen wir nach langer Fahrt das Haus meiner Schwiegermutter. Obwohl wir ursprünglich den ersten Termin beim Gynäkologen abwarten wollten, bevor wir es der Familie erzählen, entscheiden wir uns kurzerhand dagegen. Wir sehen aufgrund der großen Entfernung beide Familienteile vielleicht zweimal im Jahr, also wollen wir doch die Gelegenheit nutzen, es zumindest meiner Schwiegermutter persönlich zu sagen.
Inzwischen ist es schon ziemlich spät, aber wenn wir es meiner Schwiegermutter erzählen, soll es auch mein Teil der Familie jetzt noch erfahren und so telefonieren wir rasch die engsten Familienmitglieder ab. Es herrscht allgemeine Begeisterung und Ausgelassenheit. Umso mehr, weil niemand aus der Familie wusste, dass wir nicht verhüten und absolut niemand damit gerechnet hatte, eine solche Nachricht zu hören.
6. Woche - Der erste Termin
Zweifelsfrei. Was mein Gynäkologe auf dem schwarz-weißen Bild benennt, erkenne sogar ich. Dottersack, Embryo. Winzig klein, aber deutlich. Er spielt mir die Herztöne ab. Ich sage "Oh, so früh schon?" Mehr nicht. Mein Mann hält mir die Hand bei der Blutabnahme. Wir lassen uns das Bild ausdrucken und schicken ein Foto davon an die engen Familienmitglieder mit Smartphone.
Der Urlaub war schön, aber anstrengend. Ich komme schnell aus der Puste und habe wenig Appetit. Mein Unterleib ziept hin und wieder schmerzhaft, aber ertragbar. Was unbequem beginnt, setzt sich in relativ kurzer Zeit heftig gesteigert fort.
7. Woche - Gib mir Gesundes!!
"Wie praktisch", denke ich, als ich an meiner rohen Paprika kaue. Momentan habe ich jede Menge Lust auf frisches Obst und Gemüse. Ich freue mich über die gesunden Gelüste und blättere während des Frühstücks, das ich für mich wieder eingeführt habe, in den zahllosen Pamphleten, die mir mein Gynäkologe mitgegeben hat. Die meisten verärgern mich, denn ich finde mich in dem Tonfall der Texte nicht wieder. Liebevolle Artikel über "Ihr Baby, das jetzt schon 1,5 Gramm wiegt" und dogmatische Listen über Lebensmittel, die ich jetzt UN-BE-DINGT meiden muss.
So hart es klingt, aber meine Wahrheit ist folgende: Für mich ist das noch kein Baby. Ich beneide andere Schwangere glühend um das erwartungsvolle Bauchstreicheln, um die liebevollen Gedanken und Planungen. Für mich ist das, kalt gesprochen, ein Zellhaufen. Er WIRD mal ein Baby. Aber noch ist er es für mich nicht. Ich fühle keinerlei Verbundenheit, keine Freude. Und die meisten dieser Ernährungsvorgaben finde ich ziemlich lächerlich, sodass ich mich auf ein Buch zurückbesinne, das ich vor vielen Monaten dazu gelesen hatte ("Expecting Better").
Nicht zum ersten Mal frage ich mich, ob das alles eine gute Idee war. Umzugspläne, Gedanken zum Arbeitsplatzwechsel - alles auf Eis. Ich wollte doch dieses Jahr noch die nächste Kendo-Prüfung machen, aber zum Ende des Jahres werde ich wohl schon ziemlich rund sein, sodass ich gar nicht weiß, ob ich das schaffe. Wir sind uns einig, dass wir noch keine Baby-Utensilien kaufen oder eine Namen aussuchen, bevor das zweite Trimester beginnt. So wie ich einer Streunerkatze noch keinen Namen geben würde, bevor ich weiß, dass ich sie behalten kann, schaffe ich es einfach nicht, mich auf die Schwangerschaft zu verlassen.
Ich habe keine Angst vor einer Fehlgeburt; ich weiß, dass die meisten einfach "Pech" sind und dass es viele Frauen erwischt. Ich kenne die Wahrscheinlichkeiten. Das Thema darf ich zumindest bei meiner Familie allerdings nicht ansprechen (ausgenommen mein Mann). Meine Mutter tadelt mich, ich würde mich doch nur verrückt machen und ich merke, dass man von mir eigentlich nur typisches Schwangerschafts-Glück hören möchte. Also halte ich den Mund und sage nichts mehr.
Meine Libido ist so gut wie verschwunden.
8. - 9. Woche - Mach, dass es aufhört!
Sodbrennen, Magenschmerzen, Blähungen. Mein Körper führt ein Regiment wie der Irre König aus dem Lied von Eis und Feuer. Willkürlich und grausam. Meine Brüste schmerzen so heftig, dass es sich anfühlt, als würden kiloschwere Gewichte im nächsten Moment von meinem Körper abreißen. Nachts kann ich vor Schmerzen kaum schlafen. Wenn es nicht meine Brüste sind, weckt mich der stechende Schmerz im Magenbereich oder mein Mann, der sich umdreht, sodass mir von der kleinen Erschütterung unfassbar übel wird.
Was zuvor Gelüste auf bestimmte Gerichte waren, ist nun dogmatische Weisung nach dem Motto "Wenn ich etwas anderes essen muss als [XY], dann kotze ich auf der Stelle." Das ertragbare Lebensmittel ist jeden Tag ein anderes, manchmal will ich überhaupt nichts essen, aber ich weiß, dass ein leerer Magen die Schmerzen noch verstärkt.
Meinem Vorgesetzten habe ich von meiner Schwangerschaft erzählt. Er ist ein aufmerksamer und feinfühliger Mann, sodass er es ohnehin gemerkt hätte, aber so habe ich einen Verbündeten, der das Geheimnis mit mir hütet, solange die Wahrscheinlichkeit einer Fehlgeburt noch so hoch ist. Offiziell verkünden will ich die Schwangerschaft erst, wenn ich nicht mehr so arg Gefahr laufe, eine Woche später sagen zu müssen "Äh, doch nicht mehr, hat sich erledigt."
Fehlgeburt. Ich erwische mich immer häufiger bei dem Gedanken, dass ich nicht traurig wäre, würde die Schwangerschaft jetzt von allein enden.
Verzweifelt probiere ich Schonkost, trinke nur noch Leitungswasser oder stilles Mineralwasser, probiere Tees, trinke Milch, esse Nüsse, schlafe hochgelagert, gehe spazieren - nichts hilft. Immer öfter falle ich nach der Arbeit völlig erschöpft um wie ein Stein oder heule geradezu hysterisch los. Schlafmangel und permanente Schmerzen machen ein unberechenbares und teilweise kreischendes Monster aus mir. Ich weiß nicht, wie ich das noch mehrere Wochen ertragen soll.
Mein Mann ist mein einziger Anker. Zu jeder Zeit schafft er Essen heran, recherchiert, wie er mir helfen kann, erträgt meine frustrierten Heulanfälle, redet mir gut zu und ist immer in meiner Nähe, um mir irgendwie zu helfen. Er kocht Tee, bringt Decken, schmeißt den Haushalt und versucht zart, mich aufzumuntern.
Als ich an einem Montag schließlich mehr Zeit heulend und kotzend auf der Firmentoilette zubringe, entscheide ich, dass es genug ist, und lasse mich krankschreiben. Zwar habe ich noch die Worte meines Gynäkologen im Ohr "Schwangerschaft ist ein Zustand, keine Krankheit", aber ich bin am Ende.
Mein Gynäkologe ist im Urlaub, mein Hausarzt ebenso. Doch die Vertretung meines Hausarztes ist ein freundlicher und geduldiger Mann, der mir Heilerde und Ingwertee empfiehlt, zusammen mit viel Ruhe.
Eine Woche später propiere ich einen neuen Anlauf auf der Arbeit - und prompt wird mir schwarz vor Augen, sodass ich schon am Mittag wieder heimfahre und mich erneut für eine Woche krankschreiben lasse.
Stück für Stück lassen nun allerdings die Schmerzen nach. Ich esse vorsichtig und halte mich an den Rat des Arztes. Meine Brüste haben sich eingependelt und sind nur noch empfindlich, aber schmerzen nicht mehr. Als wir es zwischendurch sogar schaffen, Sex zu haben, könnte ich heulen vor Erleichterung, weil ich das sehr, sehr vermisst habe.
10. Woche
Langsam habe ich das Gefühl, ich kann wieder halbwegs funktionieren. Zwar bekomme ich hin und wieder noch Rückfälle, bei denen ich den ganzen Tag ein flaues Gefühl im Magen und einen wackeligen Kreislauf habe, aber die stechenden Schmerzen vom Sodbrennen sind bislang nicht wiedergekommen. Immer, wenn es mir zu gut geht, bin ich misstrauisch. Hat sich etwas abgelöst? Geht es mir nur deshalb gut, weil der Embyro abgestorben ist? Nach den heftigen Wochen weiß ich nicht, ob ich mir so schnell einen zweiten Versuch zutrauen würde. Und auch nicht, ob es mir das überhaupt wert ist.
Aus dem "Es/Zellhaufen" ist gedanklich "das Knöpfchen" geworden. Ich fasse zaghafte Hoffnung, dass ich mich vor der Geburt darauf freuen kann. Zwar weiß ich, dass mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit die Schwangerschaft noch von allein enden kann, aber seit ich nicht mehr permanent und Schmerzen und Schlafmangel leide, kann ich mich an den Gedanken, schwanger zu sein, langsam gewöhnen.
Zwar habe ich kaum zugenommen, aber ein kleiner Bauchansatz ist schon zu sehen. Zum Glück trage ich im Sommer gern Männershorts mit variablem Gürtel; ich kann mich also noch problemlos bequem kleiden.
In der kommenden Woche starte ich einen neuen Anlauf für die Arbeit.
Seit gut einem Jahr verhüten mein Mann und ich nicht mehr mit dem Hintergrund "Wenn wir Nachwuchs bekommen sollten, dann freuen wir uns. Sollten wir keinen bekommen, dann fallen uns viele andere wundervolle Dinge mit unserem gemeinsamen Leben ein."
Obwohl wir die Sache dermaßen entspannt angingen, wurde ich plötzlich vor jeder Periode unfassbar unruhig und stand gedanklich exakt am Scheideweg zwischen "Bitte blute!" und "Bitte blute nicht!". Jedes Mal war ich erleichtert, aber zu gleichen Teilen traurig, wenn die ersten Tropfen fielen.
6. Juli 2018 - Zwei Streifen
Die Periode ist spät. Seit zwei Tagen drücke ich mich um einen Test. So viele habe ich schon viel zu hektisch viel zu früh gemacht, also wollte ich mich zurückhalten. Und das Ergebnis irgendwie auch nicht wissen, wenn ich ehrlich bin.
Es ist Freitag, wir haben zwei Wochen frei und wollen heute zum Besuch seiner Mutter starten. Wir haben ein paar Tage Paris zusammen mit ihr geplant.
Unruhig trete ich von einem Bein auf das andere, bis ich es mir nicht mehr verkneifen kann und schließlich fange ich meinen Morgenurin in einem Glas auf. Leise reiße ich die Packung vom Test auf; mein Mann schläft noch und ich will ihn nicht wecken, weil ich weiß, er wird sich meine Reaktion merken und ich bin noch nicht sicher, wie sie ausfallen wird.
Zwei Streifen. Völlig unzweifelhaft und klar tauchen sie in dem kleinen Fensterchen auf und bestätigen meinen Verdacht. Ich weiß nicht, was ich fühle, ich spüre nur mein Herz hämmern und das Blut in meinen Ohren rauschen.
Ich gehe zurück zu meinem Mann ins Bett und wecke ihn vorsichtig. "Positiv", krächze ich. Er lächelt schlaftrunken und nimmt mich fest in den Arm.
Auf der Arbeit lasse ich mir nichts anmerken. Lediglich einer Freundin habe ich es erzählt.
Am Abend erreichen wir nach langer Fahrt das Haus meiner Schwiegermutter. Obwohl wir ursprünglich den ersten Termin beim Gynäkologen abwarten wollten, bevor wir es der Familie erzählen, entscheiden wir uns kurzerhand dagegen. Wir sehen aufgrund der großen Entfernung beide Familienteile vielleicht zweimal im Jahr, also wollen wir doch die Gelegenheit nutzen, es zumindest meiner Schwiegermutter persönlich zu sagen.
Inzwischen ist es schon ziemlich spät, aber wenn wir es meiner Schwiegermutter erzählen, soll es auch mein Teil der Familie jetzt noch erfahren und so telefonieren wir rasch die engsten Familienmitglieder ab. Es herrscht allgemeine Begeisterung und Ausgelassenheit. Umso mehr, weil niemand aus der Familie wusste, dass wir nicht verhüten und absolut niemand damit gerechnet hatte, eine solche Nachricht zu hören.
6. Woche - Der erste Termin
Zweifelsfrei. Was mein Gynäkologe auf dem schwarz-weißen Bild benennt, erkenne sogar ich. Dottersack, Embryo. Winzig klein, aber deutlich. Er spielt mir die Herztöne ab. Ich sage "Oh, so früh schon?" Mehr nicht. Mein Mann hält mir die Hand bei der Blutabnahme. Wir lassen uns das Bild ausdrucken und schicken ein Foto davon an die engen Familienmitglieder mit Smartphone.
Der Urlaub war schön, aber anstrengend. Ich komme schnell aus der Puste und habe wenig Appetit. Mein Unterleib ziept hin und wieder schmerzhaft, aber ertragbar. Was unbequem beginnt, setzt sich in relativ kurzer Zeit heftig gesteigert fort.
7. Woche - Gib mir Gesundes!!
"Wie praktisch", denke ich, als ich an meiner rohen Paprika kaue. Momentan habe ich jede Menge Lust auf frisches Obst und Gemüse. Ich freue mich über die gesunden Gelüste und blättere während des Frühstücks, das ich für mich wieder eingeführt habe, in den zahllosen Pamphleten, die mir mein Gynäkologe mitgegeben hat. Die meisten verärgern mich, denn ich finde mich in dem Tonfall der Texte nicht wieder. Liebevolle Artikel über "Ihr Baby, das jetzt schon 1,5 Gramm wiegt" und dogmatische Listen über Lebensmittel, die ich jetzt UN-BE-DINGT meiden muss.
So hart es klingt, aber meine Wahrheit ist folgende: Für mich ist das noch kein Baby. Ich beneide andere Schwangere glühend um das erwartungsvolle Bauchstreicheln, um die liebevollen Gedanken und Planungen. Für mich ist das, kalt gesprochen, ein Zellhaufen. Er WIRD mal ein Baby. Aber noch ist er es für mich nicht. Ich fühle keinerlei Verbundenheit, keine Freude. Und die meisten dieser Ernährungsvorgaben finde ich ziemlich lächerlich, sodass ich mich auf ein Buch zurückbesinne, das ich vor vielen Monaten dazu gelesen hatte ("Expecting Better").
Nicht zum ersten Mal frage ich mich, ob das alles eine gute Idee war. Umzugspläne, Gedanken zum Arbeitsplatzwechsel - alles auf Eis. Ich wollte doch dieses Jahr noch die nächste Kendo-Prüfung machen, aber zum Ende des Jahres werde ich wohl schon ziemlich rund sein, sodass ich gar nicht weiß, ob ich das schaffe. Wir sind uns einig, dass wir noch keine Baby-Utensilien kaufen oder eine Namen aussuchen, bevor das zweite Trimester beginnt. So wie ich einer Streunerkatze noch keinen Namen geben würde, bevor ich weiß, dass ich sie behalten kann, schaffe ich es einfach nicht, mich auf die Schwangerschaft zu verlassen.
Ich habe keine Angst vor einer Fehlgeburt; ich weiß, dass die meisten einfach "Pech" sind und dass es viele Frauen erwischt. Ich kenne die Wahrscheinlichkeiten. Das Thema darf ich zumindest bei meiner Familie allerdings nicht ansprechen (ausgenommen mein Mann). Meine Mutter tadelt mich, ich würde mich doch nur verrückt machen und ich merke, dass man von mir eigentlich nur typisches Schwangerschafts-Glück hören möchte. Also halte ich den Mund und sage nichts mehr.
Meine Libido ist so gut wie verschwunden.
8. - 9. Woche - Mach, dass es aufhört!
Sodbrennen, Magenschmerzen, Blähungen. Mein Körper führt ein Regiment wie der Irre König aus dem Lied von Eis und Feuer. Willkürlich und grausam. Meine Brüste schmerzen so heftig, dass es sich anfühlt, als würden kiloschwere Gewichte im nächsten Moment von meinem Körper abreißen. Nachts kann ich vor Schmerzen kaum schlafen. Wenn es nicht meine Brüste sind, weckt mich der stechende Schmerz im Magenbereich oder mein Mann, der sich umdreht, sodass mir von der kleinen Erschütterung unfassbar übel wird.
Was zuvor Gelüste auf bestimmte Gerichte waren, ist nun dogmatische Weisung nach dem Motto "Wenn ich etwas anderes essen muss als [XY], dann kotze ich auf der Stelle." Das ertragbare Lebensmittel ist jeden Tag ein anderes, manchmal will ich überhaupt nichts essen, aber ich weiß, dass ein leerer Magen die Schmerzen noch verstärkt.
Meinem Vorgesetzten habe ich von meiner Schwangerschaft erzählt. Er ist ein aufmerksamer und feinfühliger Mann, sodass er es ohnehin gemerkt hätte, aber so habe ich einen Verbündeten, der das Geheimnis mit mir hütet, solange die Wahrscheinlichkeit einer Fehlgeburt noch so hoch ist. Offiziell verkünden will ich die Schwangerschaft erst, wenn ich nicht mehr so arg Gefahr laufe, eine Woche später sagen zu müssen "Äh, doch nicht mehr, hat sich erledigt."
Fehlgeburt. Ich erwische mich immer häufiger bei dem Gedanken, dass ich nicht traurig wäre, würde die Schwangerschaft jetzt von allein enden.
Verzweifelt probiere ich Schonkost, trinke nur noch Leitungswasser oder stilles Mineralwasser, probiere Tees, trinke Milch, esse Nüsse, schlafe hochgelagert, gehe spazieren - nichts hilft. Immer öfter falle ich nach der Arbeit völlig erschöpft um wie ein Stein oder heule geradezu hysterisch los. Schlafmangel und permanente Schmerzen machen ein unberechenbares und teilweise kreischendes Monster aus mir. Ich weiß nicht, wie ich das noch mehrere Wochen ertragen soll.
Mein Mann ist mein einziger Anker. Zu jeder Zeit schafft er Essen heran, recherchiert, wie er mir helfen kann, erträgt meine frustrierten Heulanfälle, redet mir gut zu und ist immer in meiner Nähe, um mir irgendwie zu helfen. Er kocht Tee, bringt Decken, schmeißt den Haushalt und versucht zart, mich aufzumuntern.
Als ich an einem Montag schließlich mehr Zeit heulend und kotzend auf der Firmentoilette zubringe, entscheide ich, dass es genug ist, und lasse mich krankschreiben. Zwar habe ich noch die Worte meines Gynäkologen im Ohr "Schwangerschaft ist ein Zustand, keine Krankheit", aber ich bin am Ende.
Mein Gynäkologe ist im Urlaub, mein Hausarzt ebenso. Doch die Vertretung meines Hausarztes ist ein freundlicher und geduldiger Mann, der mir Heilerde und Ingwertee empfiehlt, zusammen mit viel Ruhe.
Eine Woche später propiere ich einen neuen Anlauf auf der Arbeit - und prompt wird mir schwarz vor Augen, sodass ich schon am Mittag wieder heimfahre und mich erneut für eine Woche krankschreiben lasse.
Stück für Stück lassen nun allerdings die Schmerzen nach. Ich esse vorsichtig und halte mich an den Rat des Arztes. Meine Brüste haben sich eingependelt und sind nur noch empfindlich, aber schmerzen nicht mehr. Als wir es zwischendurch sogar schaffen, Sex zu haben, könnte ich heulen vor Erleichterung, weil ich das sehr, sehr vermisst habe.
10. Woche
Langsam habe ich das Gefühl, ich kann wieder halbwegs funktionieren. Zwar bekomme ich hin und wieder noch Rückfälle, bei denen ich den ganzen Tag ein flaues Gefühl im Magen und einen wackeligen Kreislauf habe, aber die stechenden Schmerzen vom Sodbrennen sind bislang nicht wiedergekommen. Immer, wenn es mir zu gut geht, bin ich misstrauisch. Hat sich etwas abgelöst? Geht es mir nur deshalb gut, weil der Embyro abgestorben ist? Nach den heftigen Wochen weiß ich nicht, ob ich mir so schnell einen zweiten Versuch zutrauen würde. Und auch nicht, ob es mir das überhaupt wert ist.
Aus dem "Es/Zellhaufen" ist gedanklich "das Knöpfchen" geworden. Ich fasse zaghafte Hoffnung, dass ich mich vor der Geburt darauf freuen kann. Zwar weiß ich, dass mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit die Schwangerschaft noch von allein enden kann, aber seit ich nicht mehr permanent und Schmerzen und Schlafmangel leide, kann ich mich an den Gedanken, schwanger zu sein, langsam gewöhnen.
Zwar habe ich kaum zugenommen, aber ein kleiner Bauchansatz ist schon zu sehen. Zum Glück trage ich im Sommer gern Männershorts mit variablem Gürtel; ich kann mich also noch problemlos bequem kleiden.
In der kommenden Woche starte ich einen neuen Anlauf für die Arbeit.
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