
Benutzer167460
Sorgt für Gesprächsstoff
- #1
Hallo Welt! 
Es ist nichts neues. Jeden Tag wird man mehrfach in den sozialen Medien mit gebrochenen Menschen konfrontiert. Mit Schicksalen, deren Story in den geheimen Hinterzimmern Hollywoods entstanden sein könnten. Trotzdem möchte ich gerne meine Geschichte erzählen und euch sagen das mir allein das schon unglaublich hilft. Auch wenn wir wahrscheinlich sehr verschieden sind... Oder vielleicht genau deswegen.
Ich komme aus einer auf den ersten Blick ganz "normalen" Familie - und bin dort die einzige der etwas "anderen Art". Der Looser. Die, die leider dazu gehört - und man nicht los wird - so nervig wie ein Kaugummi unterm Schuh.
Ich bin das zweite Kind meiner Eltern und habe noch einen älteren Bruder. Ich war ein Wunschkind - als ich auf dem Weg war kauften meine Eltern ein altes Haus und wollten sich dort, nach und nach, ihren gemeinsamen Lebenstraum erfüllen. Das Leben hatte aber erstmal einen anderen Plan für meine Eltern & meinen Bruder.
Ich wurde mit einem schweren Geburtsfehler geboren, einer Analatresie. Es war nötig mich sofort in eine Spezialklinik zu verlegen - da zu dem Zeitpunkt kein Krankenwagen verfügbar war musste eine Krankenschwester sich mit mir in ein Taxi setzen. Mein Vater fuhr hinterher, ohne zu wissen was ihn erwartet, und musste meine Mutter zurücklassen.
Als der Chef meines Vaters erfuhr was geschehen war, bekam er sofort 4 Wochen Sonderurlaub - bei voller Bezahlung.
Ich wurde dann mit einem Tag das erste mal operiert & verbrachte mein erstes Lebensjahr überwiegend im Krankenhaus. Meine Mutter hatte große Probleme mich dort zu besuchen - mein Papa hingegen war jeden Tag bei mir und hat den Krankenschwestern viel Arbeit abgenommen. Er hat mich trotz all der Schläuche gefüttert, gebadet, umgezogen und natürlich gekuschelt
Die Nachsorge zuhause übernahm mein Vater auch - woher er die Kraft für einen 10 Stunden Job, einem 12 jährigen Kind, einem kranken Kind und der Arbeit an der gerade erst gekauften Bruchbude her nahm und wie es mit Sicherheit tief in ihm drin aussah kann man nur erahnen.
Meinen ersten Geburtstag feierte ich "gesund" zuhause und musste nie wieder in einem Krankenhaus behandelt werden.
Man kann sich sicherlich vorstellen wie das Verhältnis zwischen mir und meinem Vater war. "Sonderstellung" wäre das falsche Wort, alleine auf Grund des Altersunterschiedes konnte mein Vater seine Liebe problemlos zwischen mir und meinem Bruder verteilen. Aber das Band zwischen mir und meinem Vater war ein ganz besonderes. Ich wuchs zu einem richtigen Anti-Mama-Kind heran. Mein Vater konnte seinen Kindern fast keinen Wunsch abschlagen - ein gutmütiger Papa, wie er im Buche steht. Die Väter meiner Freunde legten sich nach der Arbeit erstmal drei Stunden hin, gingen einmal die Woche mit den Kumpels in die Kneipe, ... bei unserem Vater gab es sowas nicht. Wenn er zuhause war, hat er seine Zeit am liebsten mit uns Kindern verbracht.
Meine Kindheit war von ständigen Streitigkeiten meiner Eltern geprägt, da es meiner Mutter so gar nicht passte das ich keinen richtigen Bezug zu ihr hatte. Kinder sind nicht blöd und je älter ich wurde desto mehr stellte ich fest, das der Lebensplan meiner Eltern auf jeden Fall nie meinen Wünschen für die Zukunft ähneln wird. Ich wollte nie das sein und werden, was meine Mutter von mir erwartete.
Mit 14 nahm das Drama dann seinen Lauf. Ich lernte meine erste große Liebe kennen... Wenn man denkt, es gibt da jemanden, mit dem man sich plötzlich wie ein Magnet anzieht, dann ist das schon eine ziemlich große Nummer. Und wenn man eigentlich auch noch in 50 Jahren neben diesem Menschen auf dem Sofa sitzen will, dann sollte man diesen Gedanken wahrscheinlich sehr ernst nehmen. Ja... Vielleicht hätten wir uns nur ein einziges mal wirklich füreinander entscheiden müssen! Und wenn wir dazu dann doch Blumen, Torten und Trauzeugen gebraucht hätten, wenn es tiefe bedingungslose Liebe doch gibt, gut - was hat dagegen gesprochen? Naja, ein paar Dinge fallen mir da rückblickend schon ein - zum Beispiel, das meine Eltern ihrer 14 jährigen Tochter mit Sicherheit keine Hochzeit mit einem drogensüchtigen 19jährigen erlaubt hätten.
Ich wollte es mit Flo besser machen als meine Eltern. Mit 16 war ich den ganzen Sommer soooo voller Glück und hatte nicht das Gefühl als würde mir irgendetwas fehlen, denn... ich hatte ja Flo! Und damit alles, was ich brauchte. Ihn - und die Drogen.
Meine Eltern haben Flo, aus gutem Grund, kein einziges mal kennengelernt. Nach aussen machte ich zu dieser Zeit noch einen guten, sehr lebensfrohen Eindruck.
Wenn ich Flo angesehen habe war es auch mit 17 noch so, als ob die Zeit still steht. Ich konnte in seinen Augen lesen wie in einem Buch. Ich habe es geliebt, den ganzen Tag mit ihm im Kurpark zu sitzen, auf der grünbraun-karierten Decke und an nichts zu denken - an nichts, in wenigen Momenten auch nicht an Drogen, Geld oder irgendwelche geheimen Treffen auf Hinterhöfen oder Autobahnraststätten. Ich habe ih. so sehr geliebt. Ihn, seine Familie, seine Geschwister, unsere Freunde, mich...und heute könnte ich mich dafür hassen. Aus Angst. Wegen der Angst, dieser abscheulich dunklen, hässlichen, riesigen Angst, mit der diese Liebe permanent verbunden war. 24/7. Angst um Flo. Und in stillen Momenten auch um mich. Wegen meiner Machtlosigkeit gegen seine Abhängigkeit. Ich habe ihn gehasst weil er die Schere in der Hand hielt, mit der er meinen Lebensfaden jederzeit durchtrennen konnte. Schnipp - und weg! ... ich hatte doch nichts weiter. Ausser ihn. Ich habe 5 Jahre lang immer wieder Menschen und Dinge zurückgelassen, die mal mein Lebensmittelpunkt waren. Für Flo.
Mit 20 konnte ich dann nicht mehr. Es war nicht geplant, aber ich habe mich in die Arme von jemand anderem geflüchtet. Ohne groß darüber nachzudenken. Ich konnte Flo einfach nicht mehr ertragen - seine Stimme, sein Gesicht, den Geruch in seinem Zimmer, unsere "Freunde", der ewige Kreislauf von Drogen, Alkohol und Streit. Wäre ich bei ihm geblieben, hätte ich mich wahrscheinlich irgendwann umgebracht.
Das ich dann etwas über 2 Jahre später nächtelang nur weinen und mich zurück in seine Arme wünschen würde, war unvorstellbar. Ich war mittlerweile schon zweifache Mami!! - und total am Ende. Mein Tag bestand wieder zu 80 Prozent aus Angst. Aber diesmal: Angst um mich.. und meine Kinder. Angst davor, das deren Erzeuger wieder einen Schrank kaputt schlägt oder uns etwas antun will. Es war grausam aber ich war wie gelähmt. Ich war unfähig, mich zu wehren, da ich niemanden mehr auf der Welt hatte. Nicht nur das Verhältnis zu meinen Eltern hatte sich jetzt wirklich verschlechert, sondern auch meine körperlicher Zustand. Aufgedunsen. Schlechte Haut. Fehlende Zähne. Jahrelanger Konsum hinterlässt Spuren, innen und außen.
Flo hatte sich zu diesem Zeitpunkt schon komplett abgeschottet - niemand, den ich kannte, hatte noch irgendeine Telefonnummer, Post - oder Mailadresse von ihm. Ich habe jeden Tag und jede Nacht an ihn gedacht. Ich habe niemals etwas mehr bereut, als ihn für den Erzeuger meiner Kinder verlassen zu haben. SO wäre er niemals mit mir umgegangen. Ich habe ihn jede Nacht so sehr vermisst und hätte ich es geschafft, ihn irgendwie zu kontaktieren... Er hätte mir geholfen. Das weiß ich. Auch, wenn er letztendlich doch nicht mehr in mein Leben gepasst hätte.
Mein Leben nahm dann eine eigentlich fast glückliche Wendung. Der Erzeuger meiner Kinder hat mit dem Staubsauger nach uns geworfen und die Kleine, fröhlich in ihrer Babywippe liegend, nur knapp verfehlt. Das war zuviel. Ich rief die Polizei. 8 Wochen später gab ich meine Kinder, damals 18 und 7 Monate, in eine Pflegefamilie. Es ging nicht mehr. Ich konnte abends nicht schlafen und morgens nicht aufstehen, wohnte allein mit Kleinkind & Baby im dritten Stock und hatte einiges zu verarbeiten... Durch eine ganz junge, liebe und kompetente Sachbearbeiterin vom Jugendamt kam ich dann 16 Wochen in eine psychatrische Tagesklinik.
Es war hart. Ich bin jeden Abend in eine eiskalte, stille Wohnung voller Erinnerungen und herumliegendem Spielzeug gekommen. An den Wochenenden habe ich nur noch geschlafen, weil die Wochentage so anstrengend waren... 4 Wochen nach der Therapie kamen meine Kinder dann tatsächlich wieder nach Hause.
Das ist jetzt auch schon wieder über 5 Jahre her... Aber ich habe immernoch nicht das Leben was ich mir wünsche.
Ich liebe einfach niemanden so sehr, wie ich Flo geliebt habe. Wir beide sind irgendwie einfach nicht fertig miteinander.
...das hätte ich ihm unglaublich gerne persönlich von allem erzählt. Im Kurpark auf der karierten Decke vielleicht... ich weiß, er hätte mich ganz fest gedrückt und vielleicht hätte sogar die Zeit wieder stillgestanden... Aber: Das ist nicht mehr möglich. Ich musste einiges erfahren als ich noch einmal intensiv nach Flo gesucht habe.
Ein Jahr nachdem ich ihn verlassen habe hat er geheiratet.. eine Krankenschwester, in die er sich bei einem seiner unzähligen Krankenhausaufenthalte verliebt hat, während wir beide noch vermeintlich glücklich auf der karierten Decke saßen.
Er hatte riesige Angst davor, mir das zu sagen. Darum haben die beiden geplant, still und heimlich ans andere Ende von Deutschland zu ziehen, in ihren Heimatort. Meine Trennung von ihm kam Flo somit sehr gelegen.
Seine Frau war bereit sich mit mir zu treffen, denn meinen Namen hatte sie ja schon das ein oder andere Mal gehört... Flo und Jana haben nicht nur geheiratet sondern ebenfalls direkt ein Kind in die Welt gesetzt. Trotzdem hat er Jana ständig im Schlaf "Nina" genannt... Sie dachte sich erst nichts dabei, bis sie misstrauisch wurde und nachgeforscht hat. Meine vielen, vielen e-mails aus all den Jahren sprachen Bände. Über Flo, mich, unsere Freunde und die guten wie schlechten Tage auf der karierten Decke. Die nicht, wie Flo behauptete, ein paar Monate gingen, sondern fast 7 Jahre.
Sie haben sich immer heftiger darüber gestritten...trotzdem gab Jana ihm jegliche Chancen - Flo hat es verbockt & sich als krönenden Abschluss die Pulsadern aufgeschnitten, als Jana bei der Nachtschicht war und sein Kind im Zimmer nebenan schlief. Wie verzweifelt kann ein Mensch sein?
WARUM? Meine Nummer oder E-Mail Adresse hat sich bis heute nicht geändert. Warum hat er mich nicht einfach angerufen?! Ich hätte ihm irgendwie geholfen. Auch wenn ich letztendlich nicht mehr in sein Leben gepasst hätte.
Ich war mehr als traurig... aber jetzt hatte ich keine Wahl mehr, ich musste 24/7 funktionieren. Ob ich wollte oder nicht... Ich hatte schließlich Verantwortung für zwei kleine Mäuse.
Ich war plötzlich ganz alleine - meine Freunde von damals gab es nicht mehr, alle anderen hatten sich durch den Vater meiner Kinder von mir abgewendet oder haben sich geschämt eine so "asoziale" Mutter zu kennen, die ihre Kinder freiwillig abgibt... Oder anders gesagt: Jeder wusste Bescheid doch niemand kam zurück in mein Leben und gab mir Halt & Kraft.
Mitte 2015 kam dann der Schock - mein Vater bekam die Diagnose Blasenkrebs. Diese Nachricht hat mir komplett den Boden unter den Füßen weggezogen. Ich kapselte mich noch weiter ab, wollte nur alleine zuhause sein, ging nicht mehr ans Telefon und habe wieder fast nur noch geschlafen.
Mein Vater wurde operiert und erholte sich langsam, aber stetig.
Als ich mich ein weiteres mal komplett aufgeben wollte trat Larissa, eine ehemals sehr gute Freundin, zurück in mein Leben und riss meine Mauer ein...
Sie ließ sich einfach nicht von mir wegstoßen. Ich war so dankbar... Auf das, was mich auf ihrer Seite der Mauer in den nächsten andertalb Jahren erwarten sollte war ich allerdings nicht vorbereitet: Larissa war Alkoholikerin. Ein paar Monate nach unserem "Wiedersehen" wurde sie mit 2,3 Promille in der Klinik eingeliefert und blieb ganze 8 Wochen dort. Danach wurde es noch schlimmer, da chemische Drogen dazu kamen.. Alles, was ihr in die Finger kam um sich irgendwie von dieser Welt zu beamen.
Gleichzeitig hat sie die ganze Zeit alles getan um mich mit Händen und Füßen davon abzuhalten, auch wieder damit anzufangen. Wir haben uns aneinander geklammert... Dabei konnte eigentlich niemand etwas für den anderen tun. Larissa war ein so wunderbarer, warmer Mensch die mir immer das Gefühl gab, "zuhause" zu sein.. Und ich war der einzige Mensch bei dem sie immer so sein konnte wie sie in dem Moment wollte. Wir waren irgendwie richtig abhängig voneinander... Ich war nun zwar nicht mehr alleine, aber ich hatte nur Larissa.
Nachdem sie sich dann mehrfach versucht hat umzubringen kümmerte sie sich um eine Patientenverfügung. Sie wollte im Fall der Fälle nicht mehr reanimiert werden. Ich bekam Angst.
Danach häufte sich ihr Drogenkonsum nochmal extrem. Es gab sie wirklich nur noch zugedröhnt. Anfang Dezember wurde sie 30 - wir unterhielten uns über die Anfänge unserer Freundschaft und was wohl unsere Kinder später einmal zu diesen irren Geschichten sagen werden.
4 Tage später bekam ich die Nachricht, das der Krebs bei meinem Vater gestreut hat... Weitere 8 Tage später war Larissa tot. Anderthalb Wochen vor Weihnachten. Gestorben an einer angeblich versehentlichen Überdosierung. Ihr Freund ist morgens aufgestanden und zur Arbeit gefahren. Er dachte sie schläft noch - da war sie bereits tot...
Der Mensch, der mich lesen konnte wie ein Buch und der alles für mich getan hätte ist weg. Für immer. Einfach so, ohne sich zu verabschieden. Das Loch in mir wurde plötzlich stündlich...minütlich... größer und alles was ich wollte war komplett reinfallen in dieses Loch.....
Kennst du diese "Steh-Auf-Männchen" für Kinder? Ich fühlte mich so, als hätte man es auf eine heiße Herdplatte gestellt.
Am liebsten würde ich in solchen Momenten meine beiden Mäuse einpacken & etwas ganz tolles unternehmen. Einfach "raus" für ein paar Tage oder sogar Wochen... Aber es geht mir - ohne Ausbildung, mit schlechten Zähnen, ohne Aussicht auf die Chance in ein besseres Leben zu starten - auch finanziell momentan so schlecht, das ich Probleme habe überhaupt ein halbwegs schönes Leben zu führen bzw meinen Kindern zu ermöglichen.
Wir haben keine Berge von Spielzeug oder Disneyfilmen aber es macht mir riesige Freude, wenn ich meinen beiden wunderbaren Mäusen einen Wunsch erfüllen kann. Ich liebe es, sie glücklich zu sehen.
Den einzigen Wunsch den mir mein Papa nie erfüllt hat, ist ein Hund. Durch einen Zufall trat plötzlich ein kleiner Terrier in unser Leben, der mich glücklicher und unsere Familie etwas kompletter gemacht hat.
Allerdings ist er schon recht alt, sein Sehvermögen wird immer schlechter. Da ich kein Geld für die nötige OP habe muss ich in Kauf nehmen, das der Hund in manchen Situationen Hilfe braucht. Er ist trotzdem ein aufgeweckter, toller Hund und ich eine happy Hundemami, die ihre Steuern zahlt und das kleine Maul stopft.
Aber zeitweise habe ich dann sogar Schwierigkeiten den Kühlschrank zu füllen...mal ganz abgesehen davon das ich z.B. in den Ferien nie etwas Großes mit den Kindern unternehmen kann.
Bei mir selbst spare ich schon, wo es geht. Ich weiß nicht wie es ist, einfach mal richtig zu leben.. einmal einkaufen ohne auf die Preise zu achten... etwas spontanes zu unternehmen... Das eigene Kind zu sehen wie es mit Anlauf in eine Welle zu springt.. An Lebenserfahrung bin ich reich - und gleichzeitig arm.
Wie ich oben schon schrieb hatte der Krebs bei meinem Vater gestreut. Er musste dann eine Chemo machen, die zwar sehr kräftezehrend war aber auch anschlug. Nach der Chemo waren die Metastasen nur noch ganz klein - und wuchsen plötzlich wieder rasant an. Meinem Vater wurde zu einer Autoimmuntherapie geraten. Dort war er einmal. Danach rebellierte der Körper. Ihm tat alles weh, er hatte keinen Appetit, wurde blass und träge.
Der Mann, der mir immer vorkam wie eine Mischung aus Mc Gyver, Popeye und Gott hatte nun nichtmal mehr die Kraft um sich 5 Minuten zu unterhalten.
Vom Hausarzt wurde er jedoch lediglich als entkräftet eingestuft... und so kam er, nach drei quälenden Wochen, auf die palliative Station in das Krankenhaus, in dem ich vor über 29 Jahren geboren wurde. Als er dort ankam haben ihn auch dort die Ärzte als "nicht akut sterbend" eingestuft. Am Morgen darauf sah die Welt komplett anders aus. Als ich in das Zimmer kam schlief er - es war eisig kalt und er ebenfalls. Trotzdem schwitzte er fürchterlich. Ich setzte mich wie selbstverständlich an sein Bett und fing an ihn zu streicheln - vor 29 Jahren war es umgekehrt.
Als die Ärztin ins Zimmer kam, baten mein Bruder und ich sie um ein Gespräch. Normalerweise geben die Ärzte und Schwestern der palliativen Station keine wirklichen Prognosen. Die Nieren hatten aufgehört zu arbeiten, der Körper war voller Wasser... Man muss keinen Doktortitel haben um zu wissen was bald passieren wird. Ich sagte der Ärztin das mein Vater 4 Enkelkinder hat, die Opa gerne besuchen würden und fragte sie direkt was ihr Bauchgefühl sagen würde. Wie wahrscheinlich wäre es das mein Vater die Nacht überlebt? Die Ärztin sagte, das wir keine Minute warten und die Kinder sollten. Mein Bruder setze sich ins Auto, um seine Kinder zu holen - pro Strecke 200km! Ich fuhr auch direkt los und holte meine Kinder aus dem Unterricht - die Klassenlehrinnen fingen fast an zu weinen als ich in der Tür stand denn ich hatte sie zwei Wochen davor schon vorgewarnt...
Als ich mit den beiden ins Zimmer kam, war ihr Opa gerade wach. Obwohl sein Gesicht total eingefallen war, strahlte er. Meine Tochter streichelte seine Hand und immer wenn sie aufhörte hat er nach den kleinen Fingern gesucht. Es war fast magisch, wie sehr sowohl die Kinder als auch Opa diese kurze Zeit genossen... er fragte sogar noch wo wir unseren Hund gelassen hätten
Bald darauf merkte ich, das er wieder langsam wegdämmerte... Also sagte ich den Kindern das wir jetzt gehen, damit Opa schlafen kann. Ich hatte mir fest vorgenommen nicht einfach zu gehen sondern wirklich "Tschüss" zu sagen. Also weckte ich ihn noch einmal. Wir haben uns dann so verabschiedet, wie er es gewollt hätte, nämlich so als ob wir uns morgen wiedersehen. Als wir schon fast raus aus dem Zimmer waren nahm mein Vater nochmal all seine Kraft zusammen und sagte mit seiner mittlerweile sehr piepsigen Stimme "Ich habe euch ganz doll lieb" - wir sagten ihm, das wir ihn natürlich auch ganz doll lieb haben, er lächelte und schlief ein. Nachdem wir seine Zimmertür geschlossen haben spürte ich das er wusste, das er uns das letzte Mal gesehen hat.
Als seine anderen zwei Enkel im Krankenhaus ankamen war der Zustand schon deutlich schlechter. Trotzdem war es für beide Seiten noch schön und wertvoll, sich zu sehen. Mein Vater schlief auch während diesem Besuch ein... und wachte nie wieder richtig auf. Zwei Stunden später ist er dann für immer gegangen. 3 Stunden vor seinem 45. Hochzeitstag.
Es gibt keine Worte für das was diese Nachricht mit mir gemacht hat. Aber ich nahm mir vor, dieses Mal nicht in alte Muster zu verfallen.
Ich will leben. Und zwar richtig!
Aber wo fängt man an wenn man nichts hat?
Nichtmal eine Schulter zum anlehnen.
Mein Vater hätte noch einige Pläne für mich gehabt:
Ein vernünftiges Schlafsofa statt ständige Rückenschmerzen weil ich auf ein Schlafzimmer verzichte damit sich meine Kinder kein Zimmer teilen müssen.
Vernünftige Zähne, damit ich vielleicht doch noch die Chance habe irgendwann in meinem Traumberuf zu arbeiten. Diesen Wunsch hätte ich ihm sehr gerne erfüllt, wäre da nicht diese unsagbar große Zahnarztphobie... bzw. die hohen Kosten für eine Sonderbehandlung.
Meine Kinder sollten einmal Urlaub an der Ostsee machen... dort, wo ich meinen Papa schon so häufig im Sand verbuddelt habe.
Unser kleines Fellknäul soll noch lange unser Leben bereichern und mir in Zeiten wie diesen zeigen, das ich liebenswert bin.Mein Vater hat mich nicht einmal wirklich glücklich mit einem Mann gesehen. Das hat ihm sehr weh getan... Er wäre ein Traum-Schwiegervater gewesen.
Momentan scheint leider keines dieser Ziele in greifbarer Nähe.
Das einzige was ich noch für meinen Vater tun kann ist mit meiner Mutter das komplette Haus auf links zu drehen damit sie alles "überflüssige" verkaufen und dort wohnen bleiben kann ... während mich seit dem Tod meines Vaters niemand gefragt hat, wie es mir eigentlich wirklich geht.
- - - - - - - - - -
Danke.
Danke das du dir die Zeit genommen hast diesen Text bis zum Ende zu lesen.
Ich wünsche dir & den Menschen um dich herum alles Liebe & noch viele schöne gemeinsame Momente. Haltet euch ganz fest...immer... wenn der Sturm weht - und auch bei Sonnenschein.
Es ist nichts neues. Jeden Tag wird man mehrfach in den sozialen Medien mit gebrochenen Menschen konfrontiert. Mit Schicksalen, deren Story in den geheimen Hinterzimmern Hollywoods entstanden sein könnten. Trotzdem möchte ich gerne meine Geschichte erzählen und euch sagen das mir allein das schon unglaublich hilft. Auch wenn wir wahrscheinlich sehr verschieden sind... Oder vielleicht genau deswegen.
Ich komme aus einer auf den ersten Blick ganz "normalen" Familie - und bin dort die einzige der etwas "anderen Art". Der Looser. Die, die leider dazu gehört - und man nicht los wird - so nervig wie ein Kaugummi unterm Schuh.
Ich bin das zweite Kind meiner Eltern und habe noch einen älteren Bruder. Ich war ein Wunschkind - als ich auf dem Weg war kauften meine Eltern ein altes Haus und wollten sich dort, nach und nach, ihren gemeinsamen Lebenstraum erfüllen. Das Leben hatte aber erstmal einen anderen Plan für meine Eltern & meinen Bruder.
Ich wurde mit einem schweren Geburtsfehler geboren, einer Analatresie. Es war nötig mich sofort in eine Spezialklinik zu verlegen - da zu dem Zeitpunkt kein Krankenwagen verfügbar war musste eine Krankenschwester sich mit mir in ein Taxi setzen. Mein Vater fuhr hinterher, ohne zu wissen was ihn erwartet, und musste meine Mutter zurücklassen.
Als der Chef meines Vaters erfuhr was geschehen war, bekam er sofort 4 Wochen Sonderurlaub - bei voller Bezahlung.
Ich wurde dann mit einem Tag das erste mal operiert & verbrachte mein erstes Lebensjahr überwiegend im Krankenhaus. Meine Mutter hatte große Probleme mich dort zu besuchen - mein Papa hingegen war jeden Tag bei mir und hat den Krankenschwestern viel Arbeit abgenommen. Er hat mich trotz all der Schläuche gefüttert, gebadet, umgezogen und natürlich gekuschelt
Meinen ersten Geburtstag feierte ich "gesund" zuhause und musste nie wieder in einem Krankenhaus behandelt werden.
Man kann sich sicherlich vorstellen wie das Verhältnis zwischen mir und meinem Vater war. "Sonderstellung" wäre das falsche Wort, alleine auf Grund des Altersunterschiedes konnte mein Vater seine Liebe problemlos zwischen mir und meinem Bruder verteilen. Aber das Band zwischen mir und meinem Vater war ein ganz besonderes. Ich wuchs zu einem richtigen Anti-Mama-Kind heran. Mein Vater konnte seinen Kindern fast keinen Wunsch abschlagen - ein gutmütiger Papa, wie er im Buche steht. Die Väter meiner Freunde legten sich nach der Arbeit erstmal drei Stunden hin, gingen einmal die Woche mit den Kumpels in die Kneipe, ... bei unserem Vater gab es sowas nicht. Wenn er zuhause war, hat er seine Zeit am liebsten mit uns Kindern verbracht.
Meine Kindheit war von ständigen Streitigkeiten meiner Eltern geprägt, da es meiner Mutter so gar nicht passte das ich keinen richtigen Bezug zu ihr hatte. Kinder sind nicht blöd und je älter ich wurde desto mehr stellte ich fest, das der Lebensplan meiner Eltern auf jeden Fall nie meinen Wünschen für die Zukunft ähneln wird. Ich wollte nie das sein und werden, was meine Mutter von mir erwartete.
Mit 14 nahm das Drama dann seinen Lauf. Ich lernte meine erste große Liebe kennen... Wenn man denkt, es gibt da jemanden, mit dem man sich plötzlich wie ein Magnet anzieht, dann ist das schon eine ziemlich große Nummer. Und wenn man eigentlich auch noch in 50 Jahren neben diesem Menschen auf dem Sofa sitzen will, dann sollte man diesen Gedanken wahrscheinlich sehr ernst nehmen. Ja... Vielleicht hätten wir uns nur ein einziges mal wirklich füreinander entscheiden müssen! Und wenn wir dazu dann doch Blumen, Torten und Trauzeugen gebraucht hätten, wenn es tiefe bedingungslose Liebe doch gibt, gut - was hat dagegen gesprochen? Naja, ein paar Dinge fallen mir da rückblickend schon ein - zum Beispiel, das meine Eltern ihrer 14 jährigen Tochter mit Sicherheit keine Hochzeit mit einem drogensüchtigen 19jährigen erlaubt hätten.
Ich wollte es mit Flo besser machen als meine Eltern. Mit 16 war ich den ganzen Sommer soooo voller Glück und hatte nicht das Gefühl als würde mir irgendetwas fehlen, denn... ich hatte ja Flo! Und damit alles, was ich brauchte. Ihn - und die Drogen.
Meine Eltern haben Flo, aus gutem Grund, kein einziges mal kennengelernt. Nach aussen machte ich zu dieser Zeit noch einen guten, sehr lebensfrohen Eindruck.
Wenn ich Flo angesehen habe war es auch mit 17 noch so, als ob die Zeit still steht. Ich konnte in seinen Augen lesen wie in einem Buch. Ich habe es geliebt, den ganzen Tag mit ihm im Kurpark zu sitzen, auf der grünbraun-karierten Decke und an nichts zu denken - an nichts, in wenigen Momenten auch nicht an Drogen, Geld oder irgendwelche geheimen Treffen auf Hinterhöfen oder Autobahnraststätten. Ich habe ih. so sehr geliebt. Ihn, seine Familie, seine Geschwister, unsere Freunde, mich...und heute könnte ich mich dafür hassen. Aus Angst. Wegen der Angst, dieser abscheulich dunklen, hässlichen, riesigen Angst, mit der diese Liebe permanent verbunden war. 24/7. Angst um Flo. Und in stillen Momenten auch um mich. Wegen meiner Machtlosigkeit gegen seine Abhängigkeit. Ich habe ihn gehasst weil er die Schere in der Hand hielt, mit der er meinen Lebensfaden jederzeit durchtrennen konnte. Schnipp - und weg! ... ich hatte doch nichts weiter. Ausser ihn. Ich habe 5 Jahre lang immer wieder Menschen und Dinge zurückgelassen, die mal mein Lebensmittelpunkt waren. Für Flo.
Mit 20 konnte ich dann nicht mehr. Es war nicht geplant, aber ich habe mich in die Arme von jemand anderem geflüchtet. Ohne groß darüber nachzudenken. Ich konnte Flo einfach nicht mehr ertragen - seine Stimme, sein Gesicht, den Geruch in seinem Zimmer, unsere "Freunde", der ewige Kreislauf von Drogen, Alkohol und Streit. Wäre ich bei ihm geblieben, hätte ich mich wahrscheinlich irgendwann umgebracht.
Das ich dann etwas über 2 Jahre später nächtelang nur weinen und mich zurück in seine Arme wünschen würde, war unvorstellbar. Ich war mittlerweile schon zweifache Mami!! - und total am Ende. Mein Tag bestand wieder zu 80 Prozent aus Angst. Aber diesmal: Angst um mich.. und meine Kinder. Angst davor, das deren Erzeuger wieder einen Schrank kaputt schlägt oder uns etwas antun will. Es war grausam aber ich war wie gelähmt. Ich war unfähig, mich zu wehren, da ich niemanden mehr auf der Welt hatte. Nicht nur das Verhältnis zu meinen Eltern hatte sich jetzt wirklich verschlechert, sondern auch meine körperlicher Zustand. Aufgedunsen. Schlechte Haut. Fehlende Zähne. Jahrelanger Konsum hinterlässt Spuren, innen und außen.
Flo hatte sich zu diesem Zeitpunkt schon komplett abgeschottet - niemand, den ich kannte, hatte noch irgendeine Telefonnummer, Post - oder Mailadresse von ihm. Ich habe jeden Tag und jede Nacht an ihn gedacht. Ich habe niemals etwas mehr bereut, als ihn für den Erzeuger meiner Kinder verlassen zu haben. SO wäre er niemals mit mir umgegangen. Ich habe ihn jede Nacht so sehr vermisst und hätte ich es geschafft, ihn irgendwie zu kontaktieren... Er hätte mir geholfen. Das weiß ich. Auch, wenn er letztendlich doch nicht mehr in mein Leben gepasst hätte.
Mein Leben nahm dann eine eigentlich fast glückliche Wendung. Der Erzeuger meiner Kinder hat mit dem Staubsauger nach uns geworfen und die Kleine, fröhlich in ihrer Babywippe liegend, nur knapp verfehlt. Das war zuviel. Ich rief die Polizei. 8 Wochen später gab ich meine Kinder, damals 18 und 7 Monate, in eine Pflegefamilie. Es ging nicht mehr. Ich konnte abends nicht schlafen und morgens nicht aufstehen, wohnte allein mit Kleinkind & Baby im dritten Stock und hatte einiges zu verarbeiten... Durch eine ganz junge, liebe und kompetente Sachbearbeiterin vom Jugendamt kam ich dann 16 Wochen in eine psychatrische Tagesklinik.
Es war hart. Ich bin jeden Abend in eine eiskalte, stille Wohnung voller Erinnerungen und herumliegendem Spielzeug gekommen. An den Wochenenden habe ich nur noch geschlafen, weil die Wochentage so anstrengend waren... 4 Wochen nach der Therapie kamen meine Kinder dann tatsächlich wieder nach Hause.
Ich liebe einfach niemanden so sehr, wie ich Flo geliebt habe. Wir beide sind irgendwie einfach nicht fertig miteinander.
...das hätte ich ihm unglaublich gerne persönlich von allem erzählt. Im Kurpark auf der karierten Decke vielleicht... ich weiß, er hätte mich ganz fest gedrückt und vielleicht hätte sogar die Zeit wieder stillgestanden... Aber: Das ist nicht mehr möglich. Ich musste einiges erfahren als ich noch einmal intensiv nach Flo gesucht habe.
Ein Jahr nachdem ich ihn verlassen habe hat er geheiratet.. eine Krankenschwester, in die er sich bei einem seiner unzähligen Krankenhausaufenthalte verliebt hat, während wir beide noch vermeintlich glücklich auf der karierten Decke saßen.
Er hatte riesige Angst davor, mir das zu sagen. Darum haben die beiden geplant, still und heimlich ans andere Ende von Deutschland zu ziehen, in ihren Heimatort. Meine Trennung von ihm kam Flo somit sehr gelegen.
Seine Frau war bereit sich mit mir zu treffen, denn meinen Namen hatte sie ja schon das ein oder andere Mal gehört... Flo und Jana haben nicht nur geheiratet sondern ebenfalls direkt ein Kind in die Welt gesetzt. Trotzdem hat er Jana ständig im Schlaf "Nina" genannt... Sie dachte sich erst nichts dabei, bis sie misstrauisch wurde und nachgeforscht hat. Meine vielen, vielen e-mails aus all den Jahren sprachen Bände. Über Flo, mich, unsere Freunde und die guten wie schlechten Tage auf der karierten Decke. Die nicht, wie Flo behauptete, ein paar Monate gingen, sondern fast 7 Jahre.
Sie haben sich immer heftiger darüber gestritten...trotzdem gab Jana ihm jegliche Chancen - Flo hat es verbockt & sich als krönenden Abschluss die Pulsadern aufgeschnitten, als Jana bei der Nachtschicht war und sein Kind im Zimmer nebenan schlief. Wie verzweifelt kann ein Mensch sein?
WARUM? Meine Nummer oder E-Mail Adresse hat sich bis heute nicht geändert. Warum hat er mich nicht einfach angerufen?! Ich hätte ihm irgendwie geholfen. Auch wenn ich letztendlich nicht mehr in sein Leben gepasst hätte.
Ich war mehr als traurig... aber jetzt hatte ich keine Wahl mehr, ich musste 24/7 funktionieren. Ob ich wollte oder nicht... Ich hatte schließlich Verantwortung für zwei kleine Mäuse.
Ich war plötzlich ganz alleine - meine Freunde von damals gab es nicht mehr, alle anderen hatten sich durch den Vater meiner Kinder von mir abgewendet oder haben sich geschämt eine so "asoziale" Mutter zu kennen, die ihre Kinder freiwillig abgibt... Oder anders gesagt: Jeder wusste Bescheid doch niemand kam zurück in mein Leben und gab mir Halt & Kraft.
Mitte 2015 kam dann der Schock - mein Vater bekam die Diagnose Blasenkrebs. Diese Nachricht hat mir komplett den Boden unter den Füßen weggezogen. Ich kapselte mich noch weiter ab, wollte nur alleine zuhause sein, ging nicht mehr ans Telefon und habe wieder fast nur noch geschlafen.
Mein Vater wurde operiert und erholte sich langsam, aber stetig.
Als ich mich ein weiteres mal komplett aufgeben wollte trat Larissa, eine ehemals sehr gute Freundin, zurück in mein Leben und riss meine Mauer ein...
Nachdem sie sich dann mehrfach versucht hat umzubringen kümmerte sie sich um eine Patientenverfügung. Sie wollte im Fall der Fälle nicht mehr reanimiert werden. Ich bekam Angst.
Danach häufte sich ihr Drogenkonsum nochmal extrem. Es gab sie wirklich nur noch zugedröhnt. Anfang Dezember wurde sie 30 - wir unterhielten uns über die Anfänge unserer Freundschaft und was wohl unsere Kinder später einmal zu diesen irren Geschichten sagen werden.
4 Tage später bekam ich die Nachricht, das der Krebs bei meinem Vater gestreut hat... Weitere 8 Tage später war Larissa tot. Anderthalb Wochen vor Weihnachten. Gestorben an einer angeblich versehentlichen Überdosierung. Ihr Freund ist morgens aufgestanden und zur Arbeit gefahren. Er dachte sie schläft noch - da war sie bereits tot...
Der Mensch, der mich lesen konnte wie ein Buch und der alles für mich getan hätte ist weg. Für immer. Einfach so, ohne sich zu verabschieden. Das Loch in mir wurde plötzlich stündlich...minütlich... größer und alles was ich wollte war komplett reinfallen in dieses Loch.....
Kennst du diese "Steh-Auf-Männchen" für Kinder? Ich fühlte mich so, als hätte man es auf eine heiße Herdplatte gestellt.
Am liebsten würde ich in solchen Momenten meine beiden Mäuse einpacken & etwas ganz tolles unternehmen. Einfach "raus" für ein paar Tage oder sogar Wochen... Aber es geht mir - ohne Ausbildung, mit schlechten Zähnen, ohne Aussicht auf die Chance in ein besseres Leben zu starten - auch finanziell momentan so schlecht, das ich Probleme habe überhaupt ein halbwegs schönes Leben zu führen bzw meinen Kindern zu ermöglichen.
Wir haben keine Berge von Spielzeug oder Disneyfilmen aber es macht mir riesige Freude, wenn ich meinen beiden wunderbaren Mäusen einen Wunsch erfüllen kann. Ich liebe es, sie glücklich zu sehen.
Den einzigen Wunsch den mir mein Papa nie erfüllt hat, ist ein Hund. Durch einen Zufall trat plötzlich ein kleiner Terrier in unser Leben, der mich glücklicher und unsere Familie etwas kompletter gemacht hat.
Allerdings ist er schon recht alt, sein Sehvermögen wird immer schlechter. Da ich kein Geld für die nötige OP habe muss ich in Kauf nehmen, das der Hund in manchen Situationen Hilfe braucht. Er ist trotzdem ein aufgeweckter, toller Hund und ich eine happy Hundemami, die ihre Steuern zahlt und das kleine Maul stopft.
Aber zeitweise habe ich dann sogar Schwierigkeiten den Kühlschrank zu füllen...mal ganz abgesehen davon das ich z.B. in den Ferien nie etwas Großes mit den Kindern unternehmen kann.
Bei mir selbst spare ich schon, wo es geht. Ich weiß nicht wie es ist, einfach mal richtig zu leben.. einmal einkaufen ohne auf die Preise zu achten... etwas spontanes zu unternehmen... Das eigene Kind zu sehen wie es mit Anlauf in eine Welle zu springt.. An Lebenserfahrung bin ich reich - und gleichzeitig arm.
Wie ich oben schon schrieb hatte der Krebs bei meinem Vater gestreut. Er musste dann eine Chemo machen, die zwar sehr kräftezehrend war aber auch anschlug. Nach der Chemo waren die Metastasen nur noch ganz klein - und wuchsen plötzlich wieder rasant an. Meinem Vater wurde zu einer Autoimmuntherapie geraten. Dort war er einmal. Danach rebellierte der Körper. Ihm tat alles weh, er hatte keinen Appetit, wurde blass und träge.
Der Mann, der mir immer vorkam wie eine Mischung aus Mc Gyver, Popeye und Gott hatte nun nichtmal mehr die Kraft um sich 5 Minuten zu unterhalten.
Vom Hausarzt wurde er jedoch lediglich als entkräftet eingestuft... und so kam er, nach drei quälenden Wochen, auf die palliative Station in das Krankenhaus, in dem ich vor über 29 Jahren geboren wurde. Als er dort ankam haben ihn auch dort die Ärzte als "nicht akut sterbend" eingestuft. Am Morgen darauf sah die Welt komplett anders aus. Als ich in das Zimmer kam schlief er - es war eisig kalt und er ebenfalls. Trotzdem schwitzte er fürchterlich. Ich setzte mich wie selbstverständlich an sein Bett und fing an ihn zu streicheln - vor 29 Jahren war es umgekehrt.
Als die Ärztin ins Zimmer kam, baten mein Bruder und ich sie um ein Gespräch. Normalerweise geben die Ärzte und Schwestern der palliativen Station keine wirklichen Prognosen. Die Nieren hatten aufgehört zu arbeiten, der Körper war voller Wasser... Man muss keinen Doktortitel haben um zu wissen was bald passieren wird. Ich sagte der Ärztin das mein Vater 4 Enkelkinder hat, die Opa gerne besuchen würden und fragte sie direkt was ihr Bauchgefühl sagen würde. Wie wahrscheinlich wäre es das mein Vater die Nacht überlebt? Die Ärztin sagte, das wir keine Minute warten und die Kinder sollten. Mein Bruder setze sich ins Auto, um seine Kinder zu holen - pro Strecke 200km! Ich fuhr auch direkt los und holte meine Kinder aus dem Unterricht - die Klassenlehrinnen fingen fast an zu weinen als ich in der Tür stand denn ich hatte sie zwei Wochen davor schon vorgewarnt...
Als ich mit den beiden ins Zimmer kam, war ihr Opa gerade wach. Obwohl sein Gesicht total eingefallen war, strahlte er. Meine Tochter streichelte seine Hand und immer wenn sie aufhörte hat er nach den kleinen Fingern gesucht. Es war fast magisch, wie sehr sowohl die Kinder als auch Opa diese kurze Zeit genossen... er fragte sogar noch wo wir unseren Hund gelassen hätten
Als seine anderen zwei Enkel im Krankenhaus ankamen war der Zustand schon deutlich schlechter. Trotzdem war es für beide Seiten noch schön und wertvoll, sich zu sehen. Mein Vater schlief auch während diesem Besuch ein... und wachte nie wieder richtig auf. Zwei Stunden später ist er dann für immer gegangen. 3 Stunden vor seinem 45. Hochzeitstag.
Es gibt keine Worte für das was diese Nachricht mit mir gemacht hat. Aber ich nahm mir vor, dieses Mal nicht in alte Muster zu verfallen.
Ich will leben. Und zwar richtig!
Aber wo fängt man an wenn man nichts hat?
Nichtmal eine Schulter zum anlehnen.
Mein Vater hätte noch einige Pläne für mich gehabt:
Ein vernünftiges Schlafsofa statt ständige Rückenschmerzen weil ich auf ein Schlafzimmer verzichte damit sich meine Kinder kein Zimmer teilen müssen.
Vernünftige Zähne, damit ich vielleicht doch noch die Chance habe irgendwann in meinem Traumberuf zu arbeiten. Diesen Wunsch hätte ich ihm sehr gerne erfüllt, wäre da nicht diese unsagbar große Zahnarztphobie... bzw. die hohen Kosten für eine Sonderbehandlung.
Meine Kinder sollten einmal Urlaub an der Ostsee machen... dort, wo ich meinen Papa schon so häufig im Sand verbuddelt habe.
Unser kleines Fellknäul soll noch lange unser Leben bereichern und mir in Zeiten wie diesen zeigen, das ich liebenswert bin.Mein Vater hat mich nicht einmal wirklich glücklich mit einem Mann gesehen. Das hat ihm sehr weh getan... Er wäre ein Traum-Schwiegervater gewesen.
Momentan scheint leider keines dieser Ziele in greifbarer Nähe.
Das einzige was ich noch für meinen Vater tun kann ist mit meiner Mutter das komplette Haus auf links zu drehen damit sie alles "überflüssige" verkaufen und dort wohnen bleiben kann ... während mich seit dem Tod meines Vaters niemand gefragt hat, wie es mir eigentlich wirklich geht.
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Danke.
Danke das du dir die Zeit genommen hast diesen Text bis zum Ende zu lesen.
Ich wünsche dir & den Menschen um dich herum alles Liebe & noch viele schöne gemeinsame Momente. Haltet euch ganz fest...immer... wenn der Sturm weht - und auch bei Sonnenschein.