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Benutzer109594 (31)
Verbringt hier viel Zeit
- #1
Hallo an alle,
vorweg erstmal eine Triggerwarnung. Ich werde mich hier viel ausheulen, über den Tod meines Sohnes, über meine Depressionen und negativen Gedanken.
Auch wenn es sich manchmal sehr düster lesen mag, ich bin in psychologischer Betreuung und habe sowohl meine selbst verletzenden Verhaltensweisen, als auch meine gelegentlichen Suizidgedanken unter Kontrolle. Und ich weiß auch, wie ich an Hilfe komme, sollte ich meine Gedanken irgendwann nicht mehr aushalten.
Viele von euch haben unsere Geschichte im Kugelbauch und im Babythread mitverfolgt, trotzdem hier nochmal ein paar Worte zu unserer Geschichte, einfach weil es mir gut tut, darüber zu reden.
Im Januar kam ich nach einer Routineuntersuchung ins Krankenhaus, kurz vor der Grenze zur Lebensfähigkeit. Mein Gebärmutterhals war verkürzt, der Muttermund weich. Als ich die Grenze erreicht habe, glaube bei 23+5 oder so, gab es Lungenreife und Tokolyse. Mir ging es sehr schlecht im Krankenhaus, dank Corona gab es keinen Besuch, das Bett verlassen durfte ich nicht, um meinen Mann wenigstens durch einen Zaun mal zu sehen. Im Grunde waren es wie 2 Wochen im Knast. Kein Kontakt zur Außenwelt, dazu diese üblen Nebenwirkungen. Hitzewellen, Puls von über 130, kleine Essensportionen, die nicht mal sonderlich geschmeckt haben.
Ich kam an einem Montag ins Krankenhaus, die Woche drauf in der Nacht von Donnerstag auch Freitag kam er dann, bei 25+0 viel zu früh. Ich bin mit starken Wehen aufgewacht, dann wurde er per Kaiserschnitt geholt. Der Arzt steckte 2 Finger in mich rein, sagte nur Muttermund offen, Sectio. Nachts 02:05 Uhr 15 Wochen zu früh. Ich dachte nur noch sie schneiden ihn aus mir heraus und nehmen ihn mir weg. Es war bis dahin schon eine sehr traumatische Erfahrung, statt Ende Januar sollte er doch erst Anfang Mai das Licht der Welt erblicken. Dann die lange Isolation von meinem Mann. Und da wir eine halbe Stunde vom Krankenhaus entfernt wohnen, war ich bei der Geburt auch ohne ihn. Eine Tatsache, die mir immer noch sehr zu schaffen macht. Er durfte nicht miterleben, wie sein Sohn auf die Welt kommt. Ich hatte eine wirklich liebe Hebamme an meiner Seite, aber den eigenen Partner kann das niemals ersetzen.
Ich hörte ein ganz kurzes Wimmern, dann wurde er direkt den Kinderärzten übergeben. Als ich zugenäht war, wurde ich wieder in mein Bett gehoben und ins Wehenzimmer zurück geschoben. Dort wartete mein Mann bereits. Wir waren nun Eltern, mussten aber warten, bis wir unseren Sohn endlich sehen durften. Es hieß eine Stunde dauert sowas. Es verging eine Stunde. Eine weitere. Noch eine. Dann erfuhren wir seine Maße, 900g leicht, 37cm lang und 25cm Kopfumfang. Mehr Infos gab es nicht, nur dass die Ärztin sich bemüht, dass wir zu ihm dürfen. Als wir diese Infos hatten, ungefähr morgens um 5 hat er seine Eltern angerufen und ich meine Mutter. Wenigstens für die kurze Info, Baby ist da, den Umständen entsprechend scheint es soweit okay zu sein.
Irgendwann, es muss nach 6 gewesen sein, durften wir endlich zu ihm. Ich wurde in meinem Bett in den Intensivraum geschoben, durch die Spinalanästhesie und den Kaiserschnitt war ich bewegungsunfähig. Leider passte mein Bett nur auf die Seite, wo die ganzen Schläuche hingen und der Tubus. Ich konnte nix von meinem Sohn erkennen. Mein Mann hat ein Foto von der anderen Seite gemacht, aber auch da war nicht mehr zu erkennen, als eine kleine Hand und der untere Teil vom Gesicht, weil seine Augen geschützt werden mussten. Wir durften unsere Hände rein legen, seine Hand vorsichtig halten. Doch die Angst irgendwas kaputt zu machen war riesig. Er sah so zerbrechlich aus, die Haut total dünn.
Dieses kleine und zerbrechliche Wesen war also in mir und ist mein Sohn. Unser Sohn. Der Gedanke fühlte sich komisch an. Als er stabil genug war, durfte er heraus zum kuscheln. Känguruhen nennen sie es. Damit er Mama riecht und den Herzschlag spürt, den er so gut aus dem Bauch kennt. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass er uns als seine Eltern erkennt. Und doch wurden seine Vitalwerte auf unseren Körpern besser. Wir durften leider immer nur getrennt zu ihm, haben uns aber mit kuscheln abgewechselt. Ich wollte, dass er auch zu seinem Vater eine Verbindung aufbaut. Die ersten Male, wenn er sich auf mir leicht bewegt hat, hat es sich genauso angefühlt wie in meinem Bauch. Nicht mehr schwanger zu sein hat mir sehr weh getan, ich hatte zu dem Zeitpunkt dank dem Übergewicht noch keinen richtig schönen Babybauch, die Bewegungen waren gerade seit kurzem als solche spürbar und mein Mann hat auch nur ein oder zwei Tritte von außen spüren dürfen, das ging erst so richtig los, als ich im Krankenhaus lag.
Mir tut das unglaublich weh, so viele verpasste Momente, so vieles, was sich niemals aufholen lässt.
Ich wurde zum Glück am Montag direkt entlassen. Von da an pendelte ich nahezu täglich ins Krankenhaus, tägliche Coronatests, ständig Milch für ihn abpumpen. Es war eine sehr stressige Zeit, wenig Schlaf, gar keine Freizeit mehr. Auch wenn es schwierig war, es gab immer den Drang bei ihm sein zu müssen, ich musste einfach hin und bin dann teilweise auch wirklich lange bei ihm geblieben. Habe ewig gekuschelt, egal wie hungrig ich zwischendurch geworden bin.
Leider haben uns immer wieder Komplikationen zurück geworfen. Als er 2 oder 3 Wochen alt war, wurde er schwer krank. Sein Darm ist Stück für Stück abgestorben, es musste sehr sehr viel entfernt werden und es wurden künstliche Ausgänge gelegt. Das war einer der schwersten Momente. Ich dachte nur, dass sie mein armes kleines Baby kaputt gemacht haben. Er sah nicht mehr aus wie mein Baby. Es baute sich eine Art Distanz auf. Einige Momente, in denen ich dachte, ich kann ihn nicht behalten. Ich komme damit nicht klar. Und trotzdem hat es mich jeden Tag dort hin gezogen, ich musste bei ihm sein.
Von da an ging es bergauf. Er wurde immer mehr richtiges Baby, ich gewöhnte mich an seinen kaputten Bauch und habe ihn immer mehr lieb gewonnen. Er fing an zu lächeln, hielt mit seinen kleinen Händen meine Finger fest. Er war so bezaubernd niedlich, dass ich mich fragte, ob ein einziges jemals genug sein würde. Wir hatten eine feste Routine, er wurde immer morgens wach und aktiv, zu 9 Uhr. Weil er scheinbar gemerkt hat, dass ich immer zwischen 9 und 10 da war. Wenn es wegen dem blöden Coronatest mal später wurde, dann wurde er laut der Schwestern schon immer echt unleidlich. Er hat auch viel herausgefunden, zum Beispiel wie man sich die Atemhilfe selber abbaut. Auch die Magensonde wollte er am liebsten los werden. Er hatte selbst beim kuscheln schon richtige Wachphasen, hat mich teilweise eine halbe Stunde genau betrachtet, zwischendurch gelächelt, sich umgeschaut. Er hatte wirklich wundervolle Augen, ich hätte dahinschmelzen können, als er mich so betrachtet hat.
Es schien alles bestens zu sein, wir hatten große Hoffnungen, dass er irgendwann halbwegs gesund entlassen wird.
Gründonnerstag hat mein Mann ein wirklich wirklich süßes Bild von ihm beim kuscheln gemacht, er wog bereits 2,5kg und war auch ordentlich gewachsen. Er war ungefähr so groß, wie ich damals als ich geboren wurde. Alles schien in Ordnung.
Dann kam Karfreitag. An Wochenenden durfte immer nur einer von uns hin, unter der Woche war einer vormittags, einer nachmittags dort. Karfreitag war mein Mann dran, ebenso sollte er den Sonntag übernehmen und ich den Samstag und den Montag. Er schrieb mir, dass er nicht rein kann, weil niemand zum testen Zeit hat, wegen eines Notfalls. Später wurde er dann nach oben geholt. Der Notfall war unser Sohn. Er rief mich an. Kannst du bitte her kommen, unser Sohn hat wohl eine Sepsis. Ich also schnell in Klamotten gesprungen und los gefahren. Voller Sorgen, aber auch mit Hoffnung. Er hat eine Lungenblutung überstanden, die Nekrosen seines Darmes überlebt. Er ist ein echter Kämpfer, auch das werden wir schaffen. Im Krankenhaus angekommen also auf Station anrufen, Coronatest. Ich sollte hoch kommen, den anderen Eltern unten aber sagen, dass sie bitte noch warten müssen. Oben im Gang wurde dann der Abstrich genommen. Und dann hieß es warten. Es rannten ständig Schwestern durch den Gang. Und wieder zurück in das Zimmer unseres Sohnes.
Eine Schwester aus einem anderen Zimmer fragte nach einem Arzt, sie hatte ein Kind mit starker Unterzuckerung. Eine andere Schwester sagte ihr, dass die gerade alle in einer REA sind. Es lief mir kalt den Rücken runter. Sie reanimieren ihn also. Die Zeit zog sich dahin und ich bekam immer mehr das Gefühl, dass dieser Tag nicht gut enden würde. Je länger man reanimiert, desto unwahrscheinlicher ein gutes Ende. Irgendwann kam eine große, ältere Frau auf uns zu. Sie wurde uns vorgestellt. Seelsorgerin. Da war ich mir nun sicher, unser Sohn würde das Krankenhaus nicht mehr lebend verlassen. Warum sonst sollten sie mit einer Seelsorgerin um die Ecke kommen.
Es wurden 2 Liegestühle in den Raum geschoben. Wir wurden hineingeführt. Alle anderen Kinder hatten sie verlegt, um unseren Sohn 3 Ärzte, viele Schwestern. Diese wechselten sich ab mit der Herzdruckmassage. Eine Ärztin erklärte uns die Situation. Während sie uns eindringlich aufklärte über Veränderungen des PH Wertes und des Körpers, die sich nicht mehr umkehren lassen würden, dachte ich nur noch bitte hört doch endlich auf. Bitte lasst ihn doch endlich. Es war klar, dass keine Chance mehr besteht und doch erklärte sie es sehr langsam und sehr genau.
Sie wollten ihn mir dafür in die Arme legen, doch ich konnte nicht. Der kleine bekam Morphium, damit er keine Schmerzen hat. Dann wurde er in die Arme meines Mannes gelegt, ich habe sein kleines Händchen gehalten. Nun schlug also sein kleines Herz nicht mehr. Mein Mann musste schluchzen und weinen in dem Augenblick, ich weinte sowieso schon die ganze Zeit. Ich habe meinen Mann noch nie weinen gesehen oder gehört, es hat mir das Herz gebrochen. Unser Sohn war ganz blau an der Stelle, wo sie die Herzdruckmassage durchgeführt haben. Seine Haut wurde ganz blass und kalt.
Auf einmal war alles vorbei. All die Wochen voller Angst und doch voller Hoffnung. Und jetzt ist es vorbei. Ich wollte so gerne noch Erinnerungen haben, wir wurden aufgeklärt, dass es Sternenfotografen gibt, die ehrenamtlich Fotos machen. Wir sind dann erstmal heim gefahren, keiner von uns wollte beim Waschen dabei sein. Daheim mussten wir leider durch die Wohnung der Schwiegereltern, weil unsere Haustür neu gemacht wurde. Ich lief laut schluchzend vor, mein Mann musste seinen Eltern erzählen, was los war. Mir ging es so schlecht, dass ich mich übergeben musste. Wieder und wieder. Ich trank was, weil mir so schlecht war, doch auch das wollte einfach nicht drin bleiben. Es hat mir den Boden unter den Füßen weg gerissen.
Später rief das Krankenhaus an. Trotz Feiertag würde eine Fotografin sich auf den Weg machen. Also sind wir wieder hin. Haben was zum anziehen für ihn mitgenommen. Die Schwester zog ihn an, die Fotografin fragte nach unseren Wünschen. Mein einziger war, dass Ich unbedingt Erinnerungen haben wollte und dass es ein Foto zu dritt geben sollte. Es gab kein einziges Foto von uns zu dritt als Familie. Und so nahm ich meinen Sohn das erste mal selber auf den Arm. Frei von Kabeln und Schläuchen. Ein sehr bewegender Moment, gerne hätte ich das auch zu seinen Lebzeiten getan. Es fühlte sich falsch an, das tote Kind auf dem Arm und dann für Fotos posieren. Aber ich war mir sicher, wenn es gar keine gibt, würde ich es irgendwann sicher bereuen. Also lieber machen, auch wenn man sie sich vielleicht erstmal nicht anschauen kann. Die Fotografin war sehr sehr lieb und ich bin ihr unendlich dankbar, dass sie ihre Freizeit an einem Feiertag für uns geopfert hat. Es ist schön, dass es diesen Verein gibt.
Dann fragte ich, wie ich es meiner Mutter erzählen sollte. Die wusste noch von nichts, hat sich vor einigen Jahren versucht das Leben zu nehmen und hat unseren Sohn vergöttert. Sie war psychisch sehr labil. Wie also überbringt man die Nachricht, dass ihr Enkel es leider nicht geschafft hat? Die Schwestern sagten, dass unsere Eltern vorbei kommen dürfen, zum Abschied nehmen. Also sind wir wieder gegangen. Haben uns mit Schwiegereltern am Krankenhaus verabredet. Da meine Mutter in der gleichen Stadt wohnt, habe ich Kontakt zu ihrer besten Freundin aufgenommen. Auch sie war extrem geschockt von der Nachricht, hat sich aber mit mir vor der Wohnung getroffen, damit ich nicht alleine da durch muss. Auch ihr bin ich unendlich dankbar, wir kannten uns quasi gar nicht. Als wir bei meiner Mutter ankamen, hat sie sich gefreut. Sie dachte, das Treffen wäre zufällig gewesen. Dann direkt die Frage, wie es denn dem Kleinen geht. Ich habe sie in den Arm genommen und ihr gesagt, dass er nicht mehr lebt. Sie ist weinend zusammengebrochen und konnte es nicht glauben.
Auch sie wollte Abschied nehmen, also ging es wieder zum Krankenhaus. Wir durften direkt zu unserem Jungen, wir waren schon getestet. Der Rest musste nun erstmal den Test abwarten. Er wurde in ein anderes Zimmer verlegt, es wurden Fußabdrücke von ihm dort hingelegt, es stand ein Tisch mit einer Kerze und einer Lichterkette dort, es war sehr würdevoll hergerichtet alles. Es standen Stühle dort, damit man ihn auf den Arm nehmen konnte. Ein letztes Mal. Unsere Eltern kamen in den Raum, alle mussten weinen. Ich wurde von jedem in den Arm genommen. Schwiegermutter war sehr traurig, sie durften ihn ja nie kennenlernen. Meine Mutter hat ihn auf den Arm genommen. Das erste Mal und gleichzeitig das letzte Mal.
Keiner konnte es so richtig fassen. Wir durften Ihn in ein Körbchen legen, wenn wir uns verabschiedet haben. Wir haben ihm ein paar seiner vielen Kuscheltiere und Schmusedecken gelassen, ebenso mein T-Shirt. In dem Körbchen bringen sie die Kinder in die Pathologie.
Wir sind dann zu einer guten Freundin geflüchtet. Zuhause erinnerte alles an ihn. Zuhause war es nicht zu ertragen. Die Ablenkung tat gut, tagsüber ging es mir am nächsten Tag schon wieder relativ gut. Aber die Nächte waren der Horror. Immer wenn es dunkel wurde, kamen all die Bilder wieder hoch. In der ersten oder zweiten Nacht nach seinem Tod war es so schlimm, dass ich mir selber weh getan habe. Es war seit dem Ereignis das einzige Mal. Ich habe von meinem Psychologen ein Medikament bekommen, was die Nächte erträglich macht. Wir sind viel ans Meer gefahren, jeden Tag woanders hin. Ich dachte unsere Beziehung ist so richtig zusammen gewachsen, wir sind füreinander da, wir stützen uns gegenseitig. Klar, es gab auch immer wieder Streit, aber ich empfand, dass die Beziehung dennoch stabiler denn je geworden ist.
Zwischendurch waren wir daheim, die Bestattung organisieren. Es war eine Seebestattung. Sehr würdevoll, irgendwie könnte man schon fast sagen schön. Auch wenn ich finde, dass dieses Wort beim Thema Bestattung nicht passend ist, Bestattungen sind keine schönen Momente. Die Anteilnahme unserer Familien war sehr berührend, Schwiegermutter hat für alle bunte Blütenblätter zum streuen mitgebracht, die Reederei hat bunte Papierboote um die Urne gelegt, die wir auch dem Meer übergeben durften. So entstand eine sehr bunte Fläche, voller Blüten, Rosen und bunten Papierbooten. Die Sonne schien in dem Moment auch. Als wir zurück fuhren, begann es zu Regnen. Ich musste die ganze Zeit über die Worte des Kapitäns nachdenken, sie machten alles so endgültig.
Dein Leben war wie eine Sternschnuppe, so hell und auch so kurz.
Es sind die kleinsten Füße, die die größten Spuren hinterlassen.
Ruhe in Frieden kleiner C.
Nun muss ich also in mein altes Leben zurück. Zurück zur Arbeit, als wäre er nie da gewesen. Anfangs ging es mir ziemlich gut, ich dachte die ganze Zeit, irgendwie sind alle viel trauriger als ich. Ich fühlte mich schlecht deswegen. Weil ich so viele gute Tage hatte. Doch jetzt überrennt es mich. Es wird momentan von Tag zu Tag schmerzhafter. Es tut so weh. So sehr, dass mein Mann mir beichtete, dass er unsere Beziehung seit einer Weile nicht mehr schön findet und nicht weiß, ob es mit uns weiter gehen kann. Das tat so sehr weh. Ich dachte, die Beziehung ist stabil, ich dachte sie sei gewachsen und doch ist sie immer mehr zerbrochen. Ich dachte, mit ihm schaffe ich es den Verlust zu verkraften, doch stattdessen die große Angst, dass ich nun auch ihn verlieren könnte.
Wir haben uns viel ausgesprochen, reden immer noch viel. Er denkt, wir können es gemeinsam schaffen, ich habe aber nach der Aussage trotzdem noch riesige Angst. Angst, dass er es sich doch wieder anders überlegt und geht. Er will am liebsten alles vergessen, ich habe hin und wieder das Bedürfnis zu reden. Will ihn aber mit dem Thema nicht bedrängen. Ich schätze das ist einer der Gründe, weshalb es diesen Thread nun gibt. Einfach mal alles raus lassen, alle Gedanken aufschreiben.
Ich weiß auch nicht, was ich nun hier erwarte. Kein Wort der Welt kann das wieder gut machen. Kein es tut mir so leid ändert etwas an der Situation. Auch wenn es alle Leute immer nur gut meinen und selber alle überfordert sind. Es ist noch immer eine schwierige Zeit. Wenn mich Kunden ansprechen, wo ich das halbe Jahr war, was sage ich? Was sage ich den Kunden, die von der Schwangerschaft wussten? Wie beantworte ich die Frage, ob ich Kinder habe? Wie soll all das weitergehen? Und wann darf ich wenigstens ein kleines Bild unseres Sohnes in unserer Wohnung aufstellen, ohne dass es zu viel für meinen Mann ist? Auch da will ich ihn nicht bedrängen und doch gehört unser Sohn für mich einfach zu unserer Familie.
Ich habe zum Glück nächste Woche wieder einen Termin bei meinem Psychologen. Letztes mal ging es mir so gut, dass er schon vom absetzen der Tabletten sprach. Und jetzt geht es mir gerade einfach nur schlecht. Ich bin unendlich traurig. Ich kann meinem Sohn nie die Welt zeigen, Dinge erklären und beibringen, seine erste Beziehung kennenlernen... Es ist so viel, was uns für immer genommen wurde.
Ich vermisse ihn so sehr. Es tut so weh... Und doch muss es weiter gehen. Nichts wird ihn je zurück bringen.
Ich kann nur hoffen, dass unsere Beziehung das überlebt, mehr Pech kann ich dieses Jahr einfach nicht gebrauchen. Mehr Pech ertrage ich nicht.
Ich will nicht alleine sein auf dieser grausamen Welt.
vorweg erstmal eine Triggerwarnung. Ich werde mich hier viel ausheulen, über den Tod meines Sohnes, über meine Depressionen und negativen Gedanken.
Auch wenn es sich manchmal sehr düster lesen mag, ich bin in psychologischer Betreuung und habe sowohl meine selbst verletzenden Verhaltensweisen, als auch meine gelegentlichen Suizidgedanken unter Kontrolle. Und ich weiß auch, wie ich an Hilfe komme, sollte ich meine Gedanken irgendwann nicht mehr aushalten.
Viele von euch haben unsere Geschichte im Kugelbauch und im Babythread mitverfolgt, trotzdem hier nochmal ein paar Worte zu unserer Geschichte, einfach weil es mir gut tut, darüber zu reden.
Im Januar kam ich nach einer Routineuntersuchung ins Krankenhaus, kurz vor der Grenze zur Lebensfähigkeit. Mein Gebärmutterhals war verkürzt, der Muttermund weich. Als ich die Grenze erreicht habe, glaube bei 23+5 oder so, gab es Lungenreife und Tokolyse. Mir ging es sehr schlecht im Krankenhaus, dank Corona gab es keinen Besuch, das Bett verlassen durfte ich nicht, um meinen Mann wenigstens durch einen Zaun mal zu sehen. Im Grunde waren es wie 2 Wochen im Knast. Kein Kontakt zur Außenwelt, dazu diese üblen Nebenwirkungen. Hitzewellen, Puls von über 130, kleine Essensportionen, die nicht mal sonderlich geschmeckt haben.
Ich kam an einem Montag ins Krankenhaus, die Woche drauf in der Nacht von Donnerstag auch Freitag kam er dann, bei 25+0 viel zu früh. Ich bin mit starken Wehen aufgewacht, dann wurde er per Kaiserschnitt geholt. Der Arzt steckte 2 Finger in mich rein, sagte nur Muttermund offen, Sectio. Nachts 02:05 Uhr 15 Wochen zu früh. Ich dachte nur noch sie schneiden ihn aus mir heraus und nehmen ihn mir weg. Es war bis dahin schon eine sehr traumatische Erfahrung, statt Ende Januar sollte er doch erst Anfang Mai das Licht der Welt erblicken. Dann die lange Isolation von meinem Mann. Und da wir eine halbe Stunde vom Krankenhaus entfernt wohnen, war ich bei der Geburt auch ohne ihn. Eine Tatsache, die mir immer noch sehr zu schaffen macht. Er durfte nicht miterleben, wie sein Sohn auf die Welt kommt. Ich hatte eine wirklich liebe Hebamme an meiner Seite, aber den eigenen Partner kann das niemals ersetzen.
Ich hörte ein ganz kurzes Wimmern, dann wurde er direkt den Kinderärzten übergeben. Als ich zugenäht war, wurde ich wieder in mein Bett gehoben und ins Wehenzimmer zurück geschoben. Dort wartete mein Mann bereits. Wir waren nun Eltern, mussten aber warten, bis wir unseren Sohn endlich sehen durften. Es hieß eine Stunde dauert sowas. Es verging eine Stunde. Eine weitere. Noch eine. Dann erfuhren wir seine Maße, 900g leicht, 37cm lang und 25cm Kopfumfang. Mehr Infos gab es nicht, nur dass die Ärztin sich bemüht, dass wir zu ihm dürfen. Als wir diese Infos hatten, ungefähr morgens um 5 hat er seine Eltern angerufen und ich meine Mutter. Wenigstens für die kurze Info, Baby ist da, den Umständen entsprechend scheint es soweit okay zu sein.
Irgendwann, es muss nach 6 gewesen sein, durften wir endlich zu ihm. Ich wurde in meinem Bett in den Intensivraum geschoben, durch die Spinalanästhesie und den Kaiserschnitt war ich bewegungsunfähig. Leider passte mein Bett nur auf die Seite, wo die ganzen Schläuche hingen und der Tubus. Ich konnte nix von meinem Sohn erkennen. Mein Mann hat ein Foto von der anderen Seite gemacht, aber auch da war nicht mehr zu erkennen, als eine kleine Hand und der untere Teil vom Gesicht, weil seine Augen geschützt werden mussten. Wir durften unsere Hände rein legen, seine Hand vorsichtig halten. Doch die Angst irgendwas kaputt zu machen war riesig. Er sah so zerbrechlich aus, die Haut total dünn.
Dieses kleine und zerbrechliche Wesen war also in mir und ist mein Sohn. Unser Sohn. Der Gedanke fühlte sich komisch an. Als er stabil genug war, durfte er heraus zum kuscheln. Känguruhen nennen sie es. Damit er Mama riecht und den Herzschlag spürt, den er so gut aus dem Bauch kennt. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass er uns als seine Eltern erkennt. Und doch wurden seine Vitalwerte auf unseren Körpern besser. Wir durften leider immer nur getrennt zu ihm, haben uns aber mit kuscheln abgewechselt. Ich wollte, dass er auch zu seinem Vater eine Verbindung aufbaut. Die ersten Male, wenn er sich auf mir leicht bewegt hat, hat es sich genauso angefühlt wie in meinem Bauch. Nicht mehr schwanger zu sein hat mir sehr weh getan, ich hatte zu dem Zeitpunkt dank dem Übergewicht noch keinen richtig schönen Babybauch, die Bewegungen waren gerade seit kurzem als solche spürbar und mein Mann hat auch nur ein oder zwei Tritte von außen spüren dürfen, das ging erst so richtig los, als ich im Krankenhaus lag.
Mir tut das unglaublich weh, so viele verpasste Momente, so vieles, was sich niemals aufholen lässt.
Ich wurde zum Glück am Montag direkt entlassen. Von da an pendelte ich nahezu täglich ins Krankenhaus, tägliche Coronatests, ständig Milch für ihn abpumpen. Es war eine sehr stressige Zeit, wenig Schlaf, gar keine Freizeit mehr. Auch wenn es schwierig war, es gab immer den Drang bei ihm sein zu müssen, ich musste einfach hin und bin dann teilweise auch wirklich lange bei ihm geblieben. Habe ewig gekuschelt, egal wie hungrig ich zwischendurch geworden bin.
Leider haben uns immer wieder Komplikationen zurück geworfen. Als er 2 oder 3 Wochen alt war, wurde er schwer krank. Sein Darm ist Stück für Stück abgestorben, es musste sehr sehr viel entfernt werden und es wurden künstliche Ausgänge gelegt. Das war einer der schwersten Momente. Ich dachte nur, dass sie mein armes kleines Baby kaputt gemacht haben. Er sah nicht mehr aus wie mein Baby. Es baute sich eine Art Distanz auf. Einige Momente, in denen ich dachte, ich kann ihn nicht behalten. Ich komme damit nicht klar. Und trotzdem hat es mich jeden Tag dort hin gezogen, ich musste bei ihm sein.
Von da an ging es bergauf. Er wurde immer mehr richtiges Baby, ich gewöhnte mich an seinen kaputten Bauch und habe ihn immer mehr lieb gewonnen. Er fing an zu lächeln, hielt mit seinen kleinen Händen meine Finger fest. Er war so bezaubernd niedlich, dass ich mich fragte, ob ein einziges jemals genug sein würde. Wir hatten eine feste Routine, er wurde immer morgens wach und aktiv, zu 9 Uhr. Weil er scheinbar gemerkt hat, dass ich immer zwischen 9 und 10 da war. Wenn es wegen dem blöden Coronatest mal später wurde, dann wurde er laut der Schwestern schon immer echt unleidlich. Er hat auch viel herausgefunden, zum Beispiel wie man sich die Atemhilfe selber abbaut. Auch die Magensonde wollte er am liebsten los werden. Er hatte selbst beim kuscheln schon richtige Wachphasen, hat mich teilweise eine halbe Stunde genau betrachtet, zwischendurch gelächelt, sich umgeschaut. Er hatte wirklich wundervolle Augen, ich hätte dahinschmelzen können, als er mich so betrachtet hat.
Es schien alles bestens zu sein, wir hatten große Hoffnungen, dass er irgendwann halbwegs gesund entlassen wird.
Gründonnerstag hat mein Mann ein wirklich wirklich süßes Bild von ihm beim kuscheln gemacht, er wog bereits 2,5kg und war auch ordentlich gewachsen. Er war ungefähr so groß, wie ich damals als ich geboren wurde. Alles schien in Ordnung.
Dann kam Karfreitag. An Wochenenden durfte immer nur einer von uns hin, unter der Woche war einer vormittags, einer nachmittags dort. Karfreitag war mein Mann dran, ebenso sollte er den Sonntag übernehmen und ich den Samstag und den Montag. Er schrieb mir, dass er nicht rein kann, weil niemand zum testen Zeit hat, wegen eines Notfalls. Später wurde er dann nach oben geholt. Der Notfall war unser Sohn. Er rief mich an. Kannst du bitte her kommen, unser Sohn hat wohl eine Sepsis. Ich also schnell in Klamotten gesprungen und los gefahren. Voller Sorgen, aber auch mit Hoffnung. Er hat eine Lungenblutung überstanden, die Nekrosen seines Darmes überlebt. Er ist ein echter Kämpfer, auch das werden wir schaffen. Im Krankenhaus angekommen also auf Station anrufen, Coronatest. Ich sollte hoch kommen, den anderen Eltern unten aber sagen, dass sie bitte noch warten müssen. Oben im Gang wurde dann der Abstrich genommen. Und dann hieß es warten. Es rannten ständig Schwestern durch den Gang. Und wieder zurück in das Zimmer unseres Sohnes.
Eine Schwester aus einem anderen Zimmer fragte nach einem Arzt, sie hatte ein Kind mit starker Unterzuckerung. Eine andere Schwester sagte ihr, dass die gerade alle in einer REA sind. Es lief mir kalt den Rücken runter. Sie reanimieren ihn also. Die Zeit zog sich dahin und ich bekam immer mehr das Gefühl, dass dieser Tag nicht gut enden würde. Je länger man reanimiert, desto unwahrscheinlicher ein gutes Ende. Irgendwann kam eine große, ältere Frau auf uns zu. Sie wurde uns vorgestellt. Seelsorgerin. Da war ich mir nun sicher, unser Sohn würde das Krankenhaus nicht mehr lebend verlassen. Warum sonst sollten sie mit einer Seelsorgerin um die Ecke kommen.
Es wurden 2 Liegestühle in den Raum geschoben. Wir wurden hineingeführt. Alle anderen Kinder hatten sie verlegt, um unseren Sohn 3 Ärzte, viele Schwestern. Diese wechselten sich ab mit der Herzdruckmassage. Eine Ärztin erklärte uns die Situation. Während sie uns eindringlich aufklärte über Veränderungen des PH Wertes und des Körpers, die sich nicht mehr umkehren lassen würden, dachte ich nur noch bitte hört doch endlich auf. Bitte lasst ihn doch endlich. Es war klar, dass keine Chance mehr besteht und doch erklärte sie es sehr langsam und sehr genau.
Sie wollten ihn mir dafür in die Arme legen, doch ich konnte nicht. Der kleine bekam Morphium, damit er keine Schmerzen hat. Dann wurde er in die Arme meines Mannes gelegt, ich habe sein kleines Händchen gehalten. Nun schlug also sein kleines Herz nicht mehr. Mein Mann musste schluchzen und weinen in dem Augenblick, ich weinte sowieso schon die ganze Zeit. Ich habe meinen Mann noch nie weinen gesehen oder gehört, es hat mir das Herz gebrochen. Unser Sohn war ganz blau an der Stelle, wo sie die Herzdruckmassage durchgeführt haben. Seine Haut wurde ganz blass und kalt.
Auf einmal war alles vorbei. All die Wochen voller Angst und doch voller Hoffnung. Und jetzt ist es vorbei. Ich wollte so gerne noch Erinnerungen haben, wir wurden aufgeklärt, dass es Sternenfotografen gibt, die ehrenamtlich Fotos machen. Wir sind dann erstmal heim gefahren, keiner von uns wollte beim Waschen dabei sein. Daheim mussten wir leider durch die Wohnung der Schwiegereltern, weil unsere Haustür neu gemacht wurde. Ich lief laut schluchzend vor, mein Mann musste seinen Eltern erzählen, was los war. Mir ging es so schlecht, dass ich mich übergeben musste. Wieder und wieder. Ich trank was, weil mir so schlecht war, doch auch das wollte einfach nicht drin bleiben. Es hat mir den Boden unter den Füßen weg gerissen.
Später rief das Krankenhaus an. Trotz Feiertag würde eine Fotografin sich auf den Weg machen. Also sind wir wieder hin. Haben was zum anziehen für ihn mitgenommen. Die Schwester zog ihn an, die Fotografin fragte nach unseren Wünschen. Mein einziger war, dass Ich unbedingt Erinnerungen haben wollte und dass es ein Foto zu dritt geben sollte. Es gab kein einziges Foto von uns zu dritt als Familie. Und so nahm ich meinen Sohn das erste mal selber auf den Arm. Frei von Kabeln und Schläuchen. Ein sehr bewegender Moment, gerne hätte ich das auch zu seinen Lebzeiten getan. Es fühlte sich falsch an, das tote Kind auf dem Arm und dann für Fotos posieren. Aber ich war mir sicher, wenn es gar keine gibt, würde ich es irgendwann sicher bereuen. Also lieber machen, auch wenn man sie sich vielleicht erstmal nicht anschauen kann. Die Fotografin war sehr sehr lieb und ich bin ihr unendlich dankbar, dass sie ihre Freizeit an einem Feiertag für uns geopfert hat. Es ist schön, dass es diesen Verein gibt.
Dann fragte ich, wie ich es meiner Mutter erzählen sollte. Die wusste noch von nichts, hat sich vor einigen Jahren versucht das Leben zu nehmen und hat unseren Sohn vergöttert. Sie war psychisch sehr labil. Wie also überbringt man die Nachricht, dass ihr Enkel es leider nicht geschafft hat? Die Schwestern sagten, dass unsere Eltern vorbei kommen dürfen, zum Abschied nehmen. Also sind wir wieder gegangen. Haben uns mit Schwiegereltern am Krankenhaus verabredet. Da meine Mutter in der gleichen Stadt wohnt, habe ich Kontakt zu ihrer besten Freundin aufgenommen. Auch sie war extrem geschockt von der Nachricht, hat sich aber mit mir vor der Wohnung getroffen, damit ich nicht alleine da durch muss. Auch ihr bin ich unendlich dankbar, wir kannten uns quasi gar nicht. Als wir bei meiner Mutter ankamen, hat sie sich gefreut. Sie dachte, das Treffen wäre zufällig gewesen. Dann direkt die Frage, wie es denn dem Kleinen geht. Ich habe sie in den Arm genommen und ihr gesagt, dass er nicht mehr lebt. Sie ist weinend zusammengebrochen und konnte es nicht glauben.
Auch sie wollte Abschied nehmen, also ging es wieder zum Krankenhaus. Wir durften direkt zu unserem Jungen, wir waren schon getestet. Der Rest musste nun erstmal den Test abwarten. Er wurde in ein anderes Zimmer verlegt, es wurden Fußabdrücke von ihm dort hingelegt, es stand ein Tisch mit einer Kerze und einer Lichterkette dort, es war sehr würdevoll hergerichtet alles. Es standen Stühle dort, damit man ihn auf den Arm nehmen konnte. Ein letztes Mal. Unsere Eltern kamen in den Raum, alle mussten weinen. Ich wurde von jedem in den Arm genommen. Schwiegermutter war sehr traurig, sie durften ihn ja nie kennenlernen. Meine Mutter hat ihn auf den Arm genommen. Das erste Mal und gleichzeitig das letzte Mal.
Keiner konnte es so richtig fassen. Wir durften Ihn in ein Körbchen legen, wenn wir uns verabschiedet haben. Wir haben ihm ein paar seiner vielen Kuscheltiere und Schmusedecken gelassen, ebenso mein T-Shirt. In dem Körbchen bringen sie die Kinder in die Pathologie.
Wir sind dann zu einer guten Freundin geflüchtet. Zuhause erinnerte alles an ihn. Zuhause war es nicht zu ertragen. Die Ablenkung tat gut, tagsüber ging es mir am nächsten Tag schon wieder relativ gut. Aber die Nächte waren der Horror. Immer wenn es dunkel wurde, kamen all die Bilder wieder hoch. In der ersten oder zweiten Nacht nach seinem Tod war es so schlimm, dass ich mir selber weh getan habe. Es war seit dem Ereignis das einzige Mal. Ich habe von meinem Psychologen ein Medikament bekommen, was die Nächte erträglich macht. Wir sind viel ans Meer gefahren, jeden Tag woanders hin. Ich dachte unsere Beziehung ist so richtig zusammen gewachsen, wir sind füreinander da, wir stützen uns gegenseitig. Klar, es gab auch immer wieder Streit, aber ich empfand, dass die Beziehung dennoch stabiler denn je geworden ist.
Zwischendurch waren wir daheim, die Bestattung organisieren. Es war eine Seebestattung. Sehr würdevoll, irgendwie könnte man schon fast sagen schön. Auch wenn ich finde, dass dieses Wort beim Thema Bestattung nicht passend ist, Bestattungen sind keine schönen Momente. Die Anteilnahme unserer Familien war sehr berührend, Schwiegermutter hat für alle bunte Blütenblätter zum streuen mitgebracht, die Reederei hat bunte Papierboote um die Urne gelegt, die wir auch dem Meer übergeben durften. So entstand eine sehr bunte Fläche, voller Blüten, Rosen und bunten Papierbooten. Die Sonne schien in dem Moment auch. Als wir zurück fuhren, begann es zu Regnen. Ich musste die ganze Zeit über die Worte des Kapitäns nachdenken, sie machten alles so endgültig.
Dein Leben war wie eine Sternschnuppe, so hell und auch so kurz.
Es sind die kleinsten Füße, die die größten Spuren hinterlassen.
Ruhe in Frieden kleiner C.
Nun muss ich also in mein altes Leben zurück. Zurück zur Arbeit, als wäre er nie da gewesen. Anfangs ging es mir ziemlich gut, ich dachte die ganze Zeit, irgendwie sind alle viel trauriger als ich. Ich fühlte mich schlecht deswegen. Weil ich so viele gute Tage hatte. Doch jetzt überrennt es mich. Es wird momentan von Tag zu Tag schmerzhafter. Es tut so weh. So sehr, dass mein Mann mir beichtete, dass er unsere Beziehung seit einer Weile nicht mehr schön findet und nicht weiß, ob es mit uns weiter gehen kann. Das tat so sehr weh. Ich dachte, die Beziehung ist stabil, ich dachte sie sei gewachsen und doch ist sie immer mehr zerbrochen. Ich dachte, mit ihm schaffe ich es den Verlust zu verkraften, doch stattdessen die große Angst, dass ich nun auch ihn verlieren könnte.
Wir haben uns viel ausgesprochen, reden immer noch viel. Er denkt, wir können es gemeinsam schaffen, ich habe aber nach der Aussage trotzdem noch riesige Angst. Angst, dass er es sich doch wieder anders überlegt und geht. Er will am liebsten alles vergessen, ich habe hin und wieder das Bedürfnis zu reden. Will ihn aber mit dem Thema nicht bedrängen. Ich schätze das ist einer der Gründe, weshalb es diesen Thread nun gibt. Einfach mal alles raus lassen, alle Gedanken aufschreiben.
Ich weiß auch nicht, was ich nun hier erwarte. Kein Wort der Welt kann das wieder gut machen. Kein es tut mir so leid ändert etwas an der Situation. Auch wenn es alle Leute immer nur gut meinen und selber alle überfordert sind. Es ist noch immer eine schwierige Zeit. Wenn mich Kunden ansprechen, wo ich das halbe Jahr war, was sage ich? Was sage ich den Kunden, die von der Schwangerschaft wussten? Wie beantworte ich die Frage, ob ich Kinder habe? Wie soll all das weitergehen? Und wann darf ich wenigstens ein kleines Bild unseres Sohnes in unserer Wohnung aufstellen, ohne dass es zu viel für meinen Mann ist? Auch da will ich ihn nicht bedrängen und doch gehört unser Sohn für mich einfach zu unserer Familie.
Ich habe zum Glück nächste Woche wieder einen Termin bei meinem Psychologen. Letztes mal ging es mir so gut, dass er schon vom absetzen der Tabletten sprach. Und jetzt geht es mir gerade einfach nur schlecht. Ich bin unendlich traurig. Ich kann meinem Sohn nie die Welt zeigen, Dinge erklären und beibringen, seine erste Beziehung kennenlernen... Es ist so viel, was uns für immer genommen wurde.
Ich vermisse ihn so sehr. Es tut so weh... Und doch muss es weiter gehen. Nichts wird ihn je zurück bringen.
Ich kann nur hoffen, dass unsere Beziehung das überlebt, mehr Pech kann ich dieses Jahr einfach nicht gebrauchen. Mehr Pech ertrage ich nicht.
Ich will nicht alleine sein auf dieser grausamen Welt.